Anouk war gerade einmal ein Jahr alt, als sich ihr Gesicht anfing zu verändern. Die Schläfen wurden dicker, die Augen glubschiger. Vom Kinderarzt wurde sie an den Augenarzt überwiesen. Dieser meinte, es wäre alles ok. Das Gesicht von Anouk verändere sich eben. Drei Tage später waren wir auf der Kinderonkologie und mussten um ihr Augenlicht fürchten.
Immer wieder fragte ich, ob es nicht auch etwas anderes sein kann. Kein Krebs sondern vielleicht eine infektbedingte Schwellung? Die Ergebnisse der Biopsie sollten uns am selben Tag noch mitgeteilt werden. Warten. Hoffen. Jede ins Zimmer kommende Person mit großen Augen anstarren. Würde jetzt das Damoklesschwert fallen? Kamen jetzt die erlösenden Worte, dass es sich doch nicht um Krebs handeln sollte?
Und so wurden wir von Tag zu Tag vertröstet. 5 Wochen lang. Weil der Tumor so schnell wuchs, dass Anouk bald nicht mehr die Augen schließen konnte, stimmten wir einer Chemotherapie ohne gesicherte Diagnose zu. Hauptsache ihre Zellen hörten auf sich zu vermehren.
Erst nach 5 langen wochen hieß es “undifferenziertes Sarkom” und der Therapieplan mit den einzelnen Chemoblöcken wurde besprochen.
Viele geplante und wegen Infekten ungeplante Krankenhausaufenthalte folgten. Jedes Mal das Gefühl der Zerissenheit mit der Entscheidung, bei welchem Kind ich bleibe.
Anouks Bruder ist nur 2,5 Jahre älter und war es bis dato gar nicht gewohnt von mir getrennt zu sein.
Ich fing an mir die Befunde geben zu lassen und schon bald stellte ich mir die Frage, warum man auf ein undifferenziertes Sarkom kam. Jedem Arzt stellte ich diese Frage. Ich solle vertrauen haben. “Nichts ist so sicher wie die Doagnostik in der Kinderonkologie”. Es gab schließlich nicht nur eine prüfende Institution sondern eine weitere sogenannte Referenzpathologie.
Nach den Gesprächen war ich kurzzeitig beruhigt. Meine Aufgabe als Mama ist für meine Kinder da zu sein. Die Ärzte wissen was sie tun. Vertrauen. Aber schon bald kamen wieder Zweifel. Als Biotechnologin verstand ich die Ergebnisse der Analytik, aber die gezogenen Schlussfolgerungen ließen mich zweifeln. Professoren, Oberärzte,..keiner nahm mich ernst.
Das Bauchgefühl blieb und ich entschloss mich auf eigene Faust Anouks Biopsieprobe genetisch über foundation medicine analysieren zu lassen. Leider war nicht mehr genügend Material vorhanden. Trotz des Versuches konnte kein Ergebnis angezeigt werden.
Ich ließ es darauf beruhen. Die Chemo sprach an und bald erreichten wir das ersehnte Therapieende. Endlich wieder Menschen treffen. Endlich wieder Ausflüge machen. Wir starteten die ambulante Erhaltungschemotherapie. Alle drei Monate würde Anouk via PET-CT kontrolliert werden, ob der Krebs zurückkam .
Wir fuhren in den Urlaub, in dem Anouk freudig ihren zweiten Geburtstag feierte. Dort lernte sie das zweite Mal wieder frei zu laufen. 2 Wochen nach Hixki Ex folgten unstillbares Erbrechen und Lethargie. Mein Bauchgefühl drängte mich dazu den Urlazb abzubrechen. Die richtige Entscheidung. Mit Blaulicht ging es wieder zurück auf die Kinderonkologie.
Und wieder war nicht klar, was Anouk eigentlich fehlte.
An einem Tag hieß es, Anouk hätte einen Rückfall ihrer ursprünglichen Krebserkrankung mit einer äußerst geringen Überlebenswahrscheinlichkeit. Gedanklich trug ich Anouk schon zu Grabe, denn ich wollte ihr keine weitere Chemotherapie mehr zumuten. Dann kam die Erleichterung, es sei “nur” eine virale Meningitis. Freudentränen.
Tage später die bittere Diagnose: Anouk hatte Leukämie. Die ganzen Chemos wieder von vorne.
Eines Tages wachte Anouk nachts auf und weinte. Dabei verzog sie die eine Gesichtshälfte während die andere Hälfte starr blieb. Waren das die Folgen des Nervenbefalls? Hatte Sie einen Schlaganfall? Bange Stunden mitten in der Nacht an deren Ende es Entwarnung gab und gleichzeitig wieder unklar war, warum sie diese sogenannte Fascialissparese hatte und wann und ob sich diese wieder zurückbilden würde. 6 Wochen fehlte mir ihr ganzes Lächeln so sehr bis sich langsam etwas tat.
Bezüglich der Leukämie folgten eine Hochdosischemotherapie und eine Stammzelltransplantation. Es gab leider diverse Komplikationen mit Aufenthalten auf der Kinderintensiv. Leberversagen. Nierenversagen.
Anouk bekam immer mehr husten, hatte ein knistern in der lunge und wieder war nicht klar, was ihr eigentlich fehlte. Alle Tests waren mal wieder nicht eindeutig. Und so fuhren wir 2 Monate jeden! Tag ins Krankenhaus für die Anti-Pilz-Therapie.
Als das nichts half machte man eine Bronchoalveoläre Lavage. So könnte man sicherlich einen Erreger nachweisen.
Kurzer Spoiler:es kam nichts dabei heraus. Allerdings wachte Anouk nach der Narkose mit ungleichen Pupillen auf. Eine blieb offen und reagierte nicht auf Licht, während die andere ganz normal sich vergrößerte bzw. zusammenzog.
Natürlich war es wieder Nacht und so musste Anouk noch ein CT und ein MRT über sich ergehen lassen. Entwarnung: keine Hirnblutung oder ähnliches. Dafür wieder ratlose Gesichter.
Wegen der vielen Narkosen an diesem Tag konnte Anouk nicht mehr extubiert werden. Hallo Kinderintensivstation.
Weil Anouk abnahm und ständig die Nasensonde erbrach, bekam sie eine PEG gelegt. Sie erbrach trotzdem.
Die Lunge machte weiterhin Probleme, sodass wir auf eine Nicht-invasive Beatmung angewiesen waren.
Wir ließen eine transbronchiale Biopsie ihrer Lungen veränderung vorzunehmen. Wieder keine Diagnose, aber dafür Ausschluss einer Fibrose.
Weil uns die Ernährung über die PEG nur viel Erbrechen und keine Zunahme brachte, bekam Anouk eine jet PeG. Eine Kombinierte Sonde, die sowohl in den Magen als auch in den Dünndarm ging.
Sie erbrach kein Essen mehr. Dafür Galle.
Zig Therapieversuche mit Kortisonstößen, iv Antibiose, Cough Assist, Schüttelweste und Mukostar folgten. Man weiß immer noch nicht was die Schatten auf Ihrer Lunge sind. Was ihre Lungenfunktion einschränkt. Aber Aufgrund des Krankheitsverlaufs wird auf eine Bronchiolitis obliterans geschlossen. Eine fortschreitende Lungenfibrose, welche als Komplikation nach einer Stammzelltransplantation auftreten kann.
An guten Tagen hoffen wir auf das Wachstum der Lunge. An schlechten Tagen wird Anouks Lebenserwartung auf maximal 2-3 Jahre geschätzt.
Alles Komplikationen der Stammzelltransplantation: Eine Behandlung die -wie sich herausstellte- nicht nötig gewesen wäre:
Anouk hatte von Anfang an Leukämie (AML). Die Sarkomdiagnose war falsch. Noch schlimmer: Die Pathologen wussten das bereits während Anouks Ersttherapie und haben schlichtweg versäumt die neuesten Erkenntnisse mit den Onkologen zu teilen.
Seit der Transplantation ist meine Tochter schwerst behindert.
Sie kann nicht mehr laufen, sie konnte über ein Jahr nicht essen. Sie braucht Sauerstoff und nächtliche Beatmung. Sie wird keine eigenen Kinder bekommen können.
Alles wäre durch einen Anruf vermeidbar gewesen. Ob der Krebs nach der richtigen Therapie trotzdem wiedergekommen wäre weiß ich nicht. Aber sie hätte eine faire Chance gehabt.
Seit der Transplantation ist Anouk krebsfrei und dennoch geht es ihr schlechter als mit Krebs.