Lieber Spender,
Ich schreibe dies am Tag der Transplantation.
Ich bin seit dem Aufwachen mit den Gedanken ständig bei Ihnen. Ich frage mich, wie es Ihnen geht. Mit welchen Gefühlen Sie heute zur Spende gefahren sind. Ob Sie die Narkose gut vertragen. Ob sie Schmerzen haben? Und ob sie erahnen können, was dieser Tag für uns bedeutet.
Gerade sind die Beutel geliefert worden. Zwei unspektakuläre Beutel. Aber mit dem wertvollsten Inhalt, den ich mir nur vorstellen kann. Ihre Zellen.
Danke!
So ein kleines Wort, was mir nicht angemessen genug erscheint, was Sie für unsere Familie getan haben.
Danke für die Hoffnung.
Danke für eine Chance.
Danke für eine mögliche Zukunft.
Danke für ein hoffentlich zweites Leben!
Herzlichst,
Ihre Empfänger-Familie
--------
Lieber Spender,
Ein Jahr ist vergangen.
Ein Jahr lang lagen diese ersten Zeilen an Sie hier und wir wussten nicht wann/ wie wir Sie kontaktieren sollten. Es war ein Jahr voller Höhen und vieler Tiefen. Aufatmen können wir leider noch nicht. Aber wir können atmen. Ohne Ihre Spende wäre dies nicht mehr möglich gewesen. Wir denken besonders an diesem Tag an Sie und hoffen, dass Sie und ihre Liebsten ein gesundes und glückliches Leben führen. Falls Sie einmal zweifeln oder traurig sein sollten, seien Sie sich gewiss, dass es Menschen gibt, die Ihnen unbeschreiblich dankbar sind. Wir werden Ihre Spende niemals vergessen.
Auf ein glückliches Jahr 2025,
Ihre Spenderfamilie.
Kleine Füße, große Spuren.
Kämpferherz mit Lebenslust.
Stolz und ganz viel Traurigkeit.
Ich will dich nie vermissen müssen.
Nicht jetzt und nicht in Ewigkeit.
Bitte lass uns Zukunft haben.
Bitte lass uns Freude spüren.
Leichtigkeit ist eh dahin,
Bitte lass sie Glück erfahren und nimm uns nicht den Sinn!
Liebe Anouk,
Ich sitze gerade im Freibad Benediktbeuern. Dort warst du das erste und letzte Mal im Sommer 2022.
Ich sehe die vielen kleinen Mädchen und vermisse dich sehr. Ich weiß nicht, wie wir hier als Familie wären. Würdest du mit Papa tollkühn die Rutsche runtersausen?
Mit Jakob Wasserschlacht machen? Oder mit mir auf der Decke Kuscheln und Knabberein futtern?
Würdest du ein Buch ansehen wollen oder lieber auf den Spielplatz gehen?
Würdest du schwimmflügel tragen oder wie Jakob keine haben wollen?
Es wurde uns nicht nur die niedliche kleinkindzeit geraubt. Nicht nur die Zeit als Familie. Sondern auch die Vorstellungskraft wie es wäre, wenn du gesund geblieben wärst.
Ich empfinde unser Leben gar nicht als so schlecht aktuell. Es gab schon schlechtere Zeiten. Ich darf nur nicht anfangen zu vergleichen. Ich darf nicht sehen, was alles möglich wäre. Was du und dein Bruder alles verpasst.
Es tut weh die kleinen Stöpsel zu sehen, die herumlaufen. Verrückterweise gewöhnt man sich an die Art von Schmerz. Man registriert das Gefühl und macht einfach weiter.
Schwierig sind die Momente, in denen man realisiert. Meistens fühle ich mich wie in einem Film. Scheiß Handlung.
Danke für deine Stärke.
Danke für deinen Mut.
Danke für deinen Lebenswillen.
Danke für deine Freude an kleinen Dingen.
Danke für dein Lächeln.
Danke für dein Verzeihen.
Danke, dass Du da bist.
Wir lieben Dich!
Deine Mama und dein Papa.
Drei Monate.
Essen, Trinken, Baden,
Schnuller wegwerfen und zurück in den Mund.
Drei Monate.
Ausflüge, Lachen, Freunde treffen,
Wir leben das Leben mit dir und lieben das Leben in dir.
Drei Monate.
Geschwisterstreitigkeiten, Alltagsstruktur,
Erziehungschaos.
Wir sind überfordert, glücklich und dankbar.
Drei Monate.
Pläne danach? Keine. Angst und Leere.
Vorfreude? Worauf?
Drei Monate.
Meine Liebe zu dir wächst und wächst und wächst..
Meine Angst dich zu verlieren aber auch.
Bitte bleib.
Drei Monate.
Bis zur nächsten Untersuchung.
Gott ist in den kleinen Wundern. In den Zufällen. Gott ist in der Schönheit der Natur, den Blumen, den Blättern, den Bäumen, den Tieren. Gott ist im Menschen. Gott ist ein Gefühl. Bauchgefühl. So wie ich immer an dem Sarkom gezweifelt habe. Wie ich das Gefühl hatte, jetzt unbedingt und sofort den Urlaub abzubrechen. Gott macht nicht alles gut, aber er begleitet einen und weist einen in die richtige Richtung. Man sollte nur lernen zuzuhören.
Warum er so etwas Grausames zulässt? Keine Ahnung. Aber ich muss es nicht verstehen. Gott übersteigt mein Wissen. Vllt hat er bei Anouk etwas anderes damit abgewendet. Oder vllt musste es sein, dass ich merke, dass ich nicht sterben will. Der einzige Ort, an dem die Fenster in der Hauner nicht vergittert sind, ist die Kapelle. Hoch oben unterm Dach. Wenn man sich auf die Stühle stellt ist es ein Leichtes sich hochzuziehen. Aber ich will Leben. Er zeigt mir auf abstruse Weise, dass ich das Leben liebe. Trotz dieses Weges.
Oder vllt, dass ich endlich merken soll, dass ich nicht perfekt sein muss. Dass ich vllt gar nicht so verkehrt bin. Habe ich doch in letzter Zeit viele Menschen bei der Ausübung ihres Berufes beobachten dürfen. Und was soll ich sagen: es wird so viel nicht perfekt gemacht. Warum sollte ich es dann sein?
Er hat mir heute eine Wärme und ein Gefühl von Schmetterlingen beschert. Das kann kein Zufall sein.
Ich gehe nicht in die Kapelle um gezielt dort zu beten. Sondern ich gehe in die Kapelle um einen Ort der Ruhe zu haben, an dem akzeptiert wird, dass man da auch seine Ruhe haben will. An dem akzeptiert wird, dass man einfach nur dasitzt und ins Leere schaut. Es ist schön, dass es solche Orte gibt an denen man sich nicht erklären muss.
Bin ich jetzt völlig verrückt geworden?
Gut möglich. Aber er gibt mir kurzzeitig Hoffnung und ein gutes Gefühl. Also warum nicht?
Der Buddhismus gibt mir das Handwerkszeug. Den Problemen ins Auge sehen und sich nicht von den Gedanken darüber verrückt machen lassen. Dinge ändern, wenn ich sie ändern kann. Oder akzeptieren, dass sie so sind, wie sie sind.
Sich auf die wichtigen Dinge Im Leben konzentrieren. Das größte Glück ist das "Nicht wollen". Wenn ich im hier und jetzt angekommen bin, dann hab ichs geschafft. Nennt man es nun Nirvana. Oder Paradies. Oder Himmel. Dort brauche ich nichts. Dort ist alles warm und geborgen.
Wer sagt, dass es ein richtig und ein falsch gibt? Glaube heißt nicht wissen. Mein Gott unterscheidet nicht zwischen Religionen. Und wenn ich nur ein "Teilzeit-Christenbuddhist mit ständigen Zweifeln an Jesus Christus" bin: es ist ok.
Ich will keine Angst vor Gott haben. Ich will mit ihm in Kontakt treten und von ihm geliebt und geleitet werden.
Weil eine Sache weiß ich sicher: eine Welt, die ohne Hoffnung auf Gott auskommen muss, kommt mir sehr sehr trist und unsinnig vor.
von Henri J. M. NouwenAus: Die Gabe der Vollendung. Mit dem Sterben leben, Freiburg: Herder 1994, S. 36-37
Die Schwester sagte zu ihrem Bruder: „Ich glaube an ein Leben nach der Geburt!“ Ihr Bruder erhob lebhaft Einspruch: „Nein, nein, das hier ist alles. Hier ist es schön dunkel und warm, und wir brauchen uns lediglich an die Nabelschnur zu halten, die uns ernährt.“ Aber das Mädchen gab nicht nach: „Es muß doch mehr als diesen dunklen Ort geben; es muß anderswo etwas geben, wo Licht ist und wo man sich frei bewegen kann.“ Aber sie konnte ihren Zwillingsbruder immer noch nicht überzeugen. Dann, nach längerem Schweigen, sagte sie zögernd: „Ich muß noch etwas sagen, aber ich fürchte, du wirst auch das nicht glauben: Ich glaube nämlich, daß wir eine Mutter haben!“ Jetzt wurde ihr kleiner Bruder wütend: „Eine Mutter, eine Mutter!“, schrie er. „Was für ein Zeug redest du denn daher? Ich habe noch nie eine Mutter gesehen, und du auch nicht. Wer hat dir diese Idee in den Kopf gesetzt? Ich habe es dir doch schon gesagt: Dieser Ort ist alles, was es gibt! Warum willst du immer noch mehr? Hier ist es doch alles in allem gar nicht so übel. Wir haben alles, was wir brauchen. Seien wir also damit zufrieden.“ Die kleine Schwester war von dieser Antwort ihres Bruders ziemlich erschlagen und wagte eine Zeitlang nichts mehr zu sagen. Aber sie konnte ihre Gedanken nicht einfach abschalten, und weil sonst niemand da war, mit dem sie hätte darüber sprechen können, sagte sie schließlich doch wieder: „Spürst du nicht ab und zu diesen Druck? Das ist doch immer wieder ganz unangenehm. Manchmal tut es richtig weh.“ –„Ja“, gab er zur Antwort, „aber was soll das schon heißen?“ Seine Schwester darauf: „Weißt du, ich glaube, daß dieses Wehtun dazu da ist, um uns auf einen anderen Ort vorzubereiten, wo es viel schöner ist als hier und wo wir unsere Mutter von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Wird das nicht ganz aufregend sein?“ Ihr kleiner Bruder gab ihr keine Antwort mehr. Er hatte endgültig genug vom dummen Geschwätz seiner Schwester und dachte, am besten sei es, einfach nicht mehr auf sie zu achten und zu hoffen, sie würde ihn in Ruhe lassen.
Mein Fleisch und Blut.
Neues Blut.
Neues Leben.
Mein Fleisch, fremdes Blut.
Kleine Tochter.
Kleine Chimäre.
Um das, was ich erhofft habe zu haben.
Um diejenige, die ich hätte sein wollen.
Um die verlorene Zeit.
Um die zu viele Zeit woanders
Und um die zu wenige Zeit bei allen anderen.
Um die Unbeschwertheit,
Das Gefühl der Unendlichkeit und des "Alles wird Gut" Mottos.
Um die Familie die wir waren und die wir nicht mehr sein werden.
Um die Tage drinnen und um die Tage draußen. Nicht bei dir. Oder nicht bei dir.
Um Entscheidungen, die ich nie treffen wollte.
Trauer über das Schicksal. Wut über die Ungerechtigkeit. Fehlende Planbarkeit.
Hilflosigkeit.
Meine-Welt-ist-stehen-geblieben-während-alle-anderen-weiterleben-digkeit.
Liebe Anouk, ich denke ständig an dich. Ich vermisse deinen Geruch, deine Wärme, dein Lächeln, deine weiche Haut.
Das schmatzende Geräusch deines Diddis, wenn du einschläfst.
Werde gesund. Bitte.