Hallo Zusammen,
Da ich immer wieder die gleichen Fragen bekomme ("Gibts was Neues?!" Oder "Habt ihr schon /seid ihr schon...") und für uns durch das immer wieder erzählen auch jedes mal von neuem eine Welt zusammenbricht, gibt es hier die neuesten Updates von Ärzten/Pflege sowieso Sorgen/ Ängste und Gedanken und Gefühle meinerseits.
Genaues Nachfragen ist lieb gemeint, aber hier ist alles, was wir derzeit wissen. Ich werde hier regelmäßig updaten und ihr könnt gerne mitlesen. Mutmachende Anteilnahme darf gerne an uns direkt gesendet werden.
Anouk liegt gerade auf der Onkologie in der Haunerschen Kinderklinik, weil sie Verdacht auf Krebs hat. In kurzer Zeit hat sich ihr Gesicht sehr verändert (starke Schwellungen). Sie ist trotzdem unsere süßeste hübscheste Babymaus auf Erden und sie scheint aktuell keine Schmerzen zu haben. Ärgerlicherweise hat sie noch RSV, sodass sie gerade mehr mit verstopfter Nase zu kämpfen hat bzw. wir mit Isolationshaft.
Anfang: Seit ca. 2 Wochen sind mir Ihre stärker werdenden "Glubschaugen" (sind trotzdem immer noch sehr hübsch. Nur eben etwas weiter vorne) aufgefallen.
Dazu kamen Schwellungen an den Schläfen.
Am Mo, 28.11.22 hatte Anouk Termin zum Impfen und dort habe ich die Kinderärztin angesprochen.Wir wurden gleich am selben Tag zum Augenarzt geschickt, um eine Stauungspapille auszuschließen. Das wars nicht. Trotzdem keine Ahnung, was es sein kann.
Am Do, 01.12.22 war ich nochmal mit Anouk bei einem anderen Kinderarzt in derselben Praxis, weil ich wissen wollte, was es denn dann sein könnte. Verdacht auf Schilddrüsenstörung, daher Blutabnahme.
Am Fr. 02.12.22 kam morgens die Nachricht vom Arzt, dass die Schilddrüse in Ordnung ist und die Entzündungsparameter auch nur minimal erhöht sind. Wir sollen sofort nach Garmisch in die Klinik zur Bildgebung gehen. Röntgen, Nierenultraschall, dann MRT.
Anouk war in Sedierung beim MRT, aber ihr Weinen beim Zugang legen/ festhalten für diverse Untersuchungen / wieder Blutabnehmen etc. taten mir in der Seele weh.
Dank RSV müssen wir in Isolation. Ich darf zwar aus dem Zimmer, aber Anouk nicht. Soll ich sie im Gitterbett einfach liegen lassen oder wie?
Bin mit zwei weiteren Mamis bzw. Papas in einem RSV Zimmer. Ich beneide sie, um entlassen zu werden und gesicherte Diagnosen von "nur" Bronchitis.
Nach dem Aufwachen war Maus erstmal groggy und ist kümmerlich durchs Babybett gepurzelt. Ihre Laune ist dann aber schlagartig sehr stark gesunken. Hunger! Sie durfte davor schon nichts essen/trinken und danach musste sie leider auch noch etwas aushalten.
Nachmittags möchte der Chefarzt mit mir das MRT besprechen. Er weiß nicht, was es ist, daher sollten wir auf die Onkologie nach München.
Ab hier liegt unsere Welt in Scherben.
Etwas Hoffnung hat mir seine Aussage gemacht, dass ein Tumor normalerweise doch nur einseitig wächst. Aber er kann nichts wirklich dazu sagen. Verdacht auf Neuroblastom oder Liposarkom. Ich bin durchgängig leise am Weinen, würde am liebsten schreien und will Anouk am liebsten nur noch knuddeln (das findet sie aber nur die ersten Minuten gut, dann heißt es krabbeln.). Sie ist wie eh und je, nur eben erkältet. Lustigerweise hat sie heute auch nen riesigen Entwicklungssprung gemacht: sie läuft an einer Hand und stand für 5 Sekunden ganz frei! Meine kleine Maus ..
Eine liebe Mama im Zimmer umarmt mich fest, dass ich weinen kann. Sie spielt auch mit Anouk und lenkt sie ab, während ich mit Bini kurz telefonieren kann.
Die Nacht auf einer Mini Pritsche mit Anouk Im Bett (weil Gitterbett doof und nicht bei mama), ihr Verkabelungssalat (Infusion an der Hand und Sättigung am Fuß), immer wieder weinenden Kindern, ständigem Hereinkommen der Schwestern, Anouks Hunger und die gefühlt alle 5 Minuten losgehenden Kurzalarme der Sättigung von den anderen Kindern (oder Anouk, wenn sie sich irgendwie komisch gedreht hat und das Teil keinen Empfang mehr hatte) lässt mich natürlich blendend schlafen. Nicht.
Sa. 03.12.22
Die Oberärztin knallt mir in der Visite an den Kopf, dass sie nicht an etwas Gutartiges glaubt und von Krebs ausgeht.
Welt bricht wieder zusammen. Nachdem ich nur noch weinend dastand, meint sie dann aber: schnell wachsend, kann ja auch bedeuten, schnell ansprechen auf Behandlung...Hoffnung?
Wir sind mit dem Krankentransport in die Haunersche Kinderklinik nach München gefahren. Der Pfleger hinten war sehr lieb und hat mir die Taschentücher stapelweise gereicht. Anouk verschläft die ganze Fahrt. Ich war darüber sehr froh, weil sie ja wieder "fixiert" war.
Aufnahmegespräch, wieder Blut abnehmen.
Wir bekommen ein Einzelzimmer zum erstmal ankommen. Ich kann nicht mehr weinen. "Sie sind ja vergleichsweise sehr gefasst" -"Nee, hab nur grad keine Tränen mehr"
Bini und Jakob kommen zu Besuch. Jakob nur ausnahmsweise, weil er durch sein Alter und den Kindergarten ne Virenschleuder ist und die Kinder mit Chemotherapie schon sehr angeschlagen sind, was das Immunsystem anbelangt.
Ich war noch nie so lange von meinem "großen" getrennt. Auch ihn will ich nie wieder loslassen...
Da sind sie wieder, die Tränen.
Es tut gut, nicht mehr alleine alles durchmachen zu müssen. Binis Umarmungen geben mir Kraft, auch wenn wir beide am Boden zerstört sind.
Jakob ist ganz irritiert von den Stimmungsschwankungen, weil wir wahlweise immer kurz in Tränen ausbrechen, bevor wir dann wieder auf seine Spielideen eingehen.
Es gibt wieder kleine Streitigkeiten zwischen den Mäusen und ich bin dankbar für die Normalität und gleichzeitig genervt, weil ich Anouk nicht mehr als nötig weinen sehen will. Ich will mit nach Hause und der Abschied tut weh. Aber ich habe Hoffnung geschöpft, dass wir das als Familie schaffen. Wir lieben uns und das ist das stärkste, was es gibt.
Ich gehe "gut" gelaunt ins Bett. Maus muss wieder an die Infusion und die Sättigung. Diesmal ist es ein mehrfach verzweigter Schlauch mit mehreren Ausgängen, die aneinander klappern. Spannendes Spielzeug..
Nachts hat Anouk Bauchkrämpfe (vllt. wegen dem Wechsel der unterschiedlichen Milchpulver; sie mag wenig essen und lieber Fläschchen). Es dauert ewig, bis jemand kommt und bis ihr Zäpfchen wirkt (habe glücklicherweise welche eingepackt).
Es dauert nachts auch gefühlt ewig, bis sie eine Milch hat. Sie hat halt sofort Hunger und bis jemand kommt und fragt, was ich will, wieder zurückläuft und die Milch macht, dauert es ewig. Noch dazu kommt, dass sich alle nochmal extra "verkleiden" müssen, wenn sie reinkommen. Das frisst auch viel Zeit, in der sie so viel schreit. Ich kann und will keine Tränen mehr sehen. Eine nette Nachtschwester hat mir zugehört: Ich habe Sorge, dass ich zu spät zum Arzt bin. Dass ich ihren Kugelbauch nicht als Symptom sondern als niedliche Eigenschaft von ihr gesehen habe. Dass die Verdauungsstörungen auch durch Metastasen ausgelöst werden können. Dass ich zu spät bin.
Ob wir überhaupt ne Chance haben? Die Schwester meint, dass es sich auch nur bei einer 30 prozentigen Überlebenswahrscheinlichkeit lohnt zu kämpfen. Ich will nicht, dass sie unnötig gequält wird. Ich sehe im Kopf ihr Grab/den Tod und ich hasse mich für diese Gedanken. Die drängen sich einfach auf.
Dabei ist ja noch nichts diagnostiziert worden. Wir müssen die Biopsie abwarten. Laut nachtschwestern stehen 3 Möglichkeiten in der akte als verdacht:
Neuroblastom
Liposarkom
Rhabdomyosarkom
Ich muss meine Gedanken irgendwie aufschreiben und beginne dieses Tagebuch.
So, 04.12.22
Es ist zu viel auf einmal. Ich habe mich gefreut, mit Jakob heute ein paar Stunden auf den Christkindlmarkt zu gehen. Einfach Ablenkung. Aber nein. Wir werden heute noch nach Großhadern verlegt, weil dort die HNO die Biopsie am Montag machen soll. Wegen des RSV ist es unter Vollnarkose ein Risiko, welches die Ärzte abwägen müssen. Das können aber nur die Anästhesisten vor Ort. D.h. eigentlich weiß ich wieder nix. Ich habe den Koffer gerade ausgepackt, da muss ich wieder los.
Jakob weint am Telefon und will zu Mama. Mit Bini kann ich gar nicht mehr reden, weil Jakob so weint.
Der Augenarzt war gerade da. Doch eine Stauungspapille und Druck aufs Gehirn. Keine Ahnung, wie es weitergeht. Das wird mir alles zu viel hier und es macht es nicht besser, dass die Maus mich mit ihrem Stoffpapagei trösten will. Ich will nur noch raus aus diesem Albtraum!!!!
Hab noch mit dem Arzt geredet. Egal was kommt, sie bekommt morgen die Biopsie, auch wenn die Anästhesie es nicht empfehlen wird.
Neuen Zugang legen. Wieder die Maus gegen ihren Willen festhalten. Sie schüttelt immer den Kopf und tut mir so Leid.
Ich wusste gar nicht, dass Babys bei zu viel Stress einschlafen. Die kleine Maus ist beim Herumschieben der Nadel eingepennt. Da kann ich in Ruhe packen und mich dann mit ihr hinlegen und eine Runde kuscheln.
Jakob und Bini kommen zur Haunerschen. Jakob darf sogar wieder in mein Zimmer, um gleich wieder weggeschickt zu werden. Der Transport für uns wäre da. Sein Blick… er fehlt mir so und er wollte den ganzen Tag nur zu Mama und dann das.
Wir wollen uns alle in Großhadern treffen.
Ich bin sauer, dass der RTW 1h Verspätung hat. Ich will wenigstens etwas Zeit mit Jakob alleine haben. Unbeschwertes Herumalbern. Ich sehe ihm an, wie traurig er ist. Und verletzt. Er lacht viel, aber ich sehe es ihm an, dass er unglücklich ist. Ich verspreche ihm, dass ich ihn, sobald wir wieder daheim sind, 10 mal ins Bett bringe und nicht wie sonst abwechselnd mit Anouk. Ich hab ihm Gummibärchen mitgebracht und er lässt sie spielen: "Wollen wir spielen?" "Nein, keine Zeit, Ich muss lesen.” Aha und was sagt der andere Gummibär? "Auch keine Zeit, muss thermomixen". Ich fühle mich ertappt. Wie oft hab ich ihn in letzter Zeit zurückgewiesen..Wie oft habe ich gesagt, keine Zeit oder keine Lust. Und jetzt würde ich nichts lieber tun, als den ganzen Tag mit ihm zu spielen. Wie blöd ich war,.."ich will Führungskraft werden"...blabliblub. Scheiß auf Karriere, Scheiß aufs Geld, Scheiß auf Rente…das Wichtigste ist Zeit mit den Liebsten. Ich beschäftige mich in der Elternzeit mit Stellen, Bewerbungsgespräche, Absagen, Feedbackgespräche und mache Fortbildungen. Dabei ist das Wichtigste die Zeit mit meinen Mäusen..
Mein Kopf schwirrt und ich merke zum ersten Mal, wie müde ich bin. So müde.
Ich weiß nicht, warum manche Menschen so ungeschickt sein können. 22:42 Uhr und die liebe Anästhesistin plärrt in den Raum rein, sie gibt mir was zum Ausfüllen, danach soll ich zu ihr kommen. Ja klar. Und Anouk alleine im Bett lassen? Ohne Rausfallschutz überall? Anouk schreit immer mal wieder kurz auf und dann lege ich ihr meine Hand auf den Bauch und sie schläft weiter.
Ich weiß nicht ob ich bald anfange verrückt zu werden. Fängt mich der HNO ab, dass sie sich gerade erst die Bilder angeschaut haben: Sie finden die MRT Bilder nicht aussagekräftig genug, um die Biopsie zu planen. Also vor der OP nochmal MRT.
CT wird auch gemacht, aber ich bin zu müde zu fragen, wieso.
Ein Hoffnungsschimmer: Alle sind total verwirrt über die Symmetrie des Tumors. Vllt ist es ja doch was anderes??
Dabei möchte ich gar nicht zu viel hoffen. Ich bin gedanklich schon auf Krebs und Chemotherapie eingestimmt. Diese Gefühlsachterbahn..
Mo, 05.12.22
Scheiße. Ich weiß nicht, was das soll, und ich hoffe inständig, dass das nur ein ganz doofer und mieser Traum ist. Anouk hat Fieber. 39,2…keine Ahnung was das für Op/ Narkose etc zu bedeuten hat. Der Ärztin wird gerade Bescheid gesagt.
Ich fühle mich überfahren. Ich bin zu müde, um durchzudrehen.
Nach 1 h Zäpfchengabe 38,5.
Kurz vor 8 Uhr 38,9
Sie bekommt jetzt Antibiose und soll trotzdem heute operiert werden. Keine Ahnung wann.
Maus schläft gerade auf meinem Bauch. Sie haben doch kein CT und MRT gemacht, weil Anouk zu krank ist für eine längere Narkose. Biopsie lief gut. Wobei der Anästhesist irgendwas geredet hat, dass ihre Sättigung kurz unter 80 war?! Aha, Alles halb so wild. Warum erwähnt er es dann?
Wir haben mehr Narkose gebraucht als üblich. Das ist meine Maus. Kämpfernatur wie die Mama..
Jetzt heißt es warten auf den ersten Zwischenstand vom Schnellschnitt. Die richtige Diagnose dauert länger, aber wir sollten morgen wissen, in welche Richtung es gehen kann. Da der Tumor so schnell wächst und aktuell Gefahr besteht, dass ihr Sehnerv dauerhaft geschädigt wird, muss schnellstmöglich eine Therapie angefangen werden. Auch wenn es nocj keine gesicherte Diagnose gibt.
Heute redet keiner mehr mit mir. Wahrscheinlich wollen sie, dass die Onkologen mit mir reden. Es ist frustrierend. Der HNO hat sich auch nicht mehr blicken lassen (der mir eigentlich sagen wollte, wie sie operiert haben).
Und warum die Anouk Antibiose bekommt sagt mir auch keiner. Selbst auf Nachfrage. Arzt kommt. Ja klar. Nicht.
Ich bin froh, wenn ich hier wieder raus bin.
Heute Nacht kommt der Nikolaus. Ich habe schon so lange alles vorbereitet. Das Quietschen und die Funkelaugen sehen andere. Ich bin sauer. Und traurig.
Ich vermisse Jakob. Und ich habe Angst, dass sich Anouk von ihrer Mama im Stich gelassen fühlt, wenn ich morgen mit Bini tausche. Sie wird ständig gequält und die Vorstellung, dass sie nach mir ruft und ich nicht komme, tut mir in der Seele weh.
Di, 06.12.22
38,6
Windel ausgelaufen, Antibiose, Zäpfchen
Ich mag nicht mehr.
Diese doofen Latexmatratzen. Wir schwitzen und frieren uns einen ab. Anouk mag ihre Hand immer noch nicht benutzen und weint, sobald man sie nur ganz leicht berührt. Zugang ist para gelaufen und dort, wo der Zugang lag, sieht die hand schlimm entzündet aus. Mehr als Octenisept Verbände gibt's scheinbar nicht.
Es ist so unfassbar scheiß fucking unfair.
Ich habe Angst vor zu Hause. Die Welt dreht sich für alle weiter, für uns nicht.
Im Krankenhaus ist wenigstens klar, dass es uns sicher nicht prächtig geht. Aber draußen? Die Kindergartenmuttis? Der kleine Plausch mit Gusti? Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Hier drinnen oder da draußen zu sein. Sicher ist, beide Kinder sind woanders. Dabei würde ich sie so gerne beide bei mir haben.
Normalität ist wichtig für Jakob. Wieder eine Tagesstruktur zu haben. Alles wird gut. Dieses Gefühl vermitteln zu müssen, während gerade unsere Welt in Schutt und Asche liegt, macht mir Angst.
Bitte lass mich aufwachen. Alles nur ein doofer Traum.. Bitte bitte bitte.
36,9. Zäpfchen wirkt wenigstens.
Die Visite ist um 8:30 angesetzt. Ich hoffe, dass ich dann irgendwelche Infos bekomme.
Zumindest weiß ich jetzt, dass die Onkologie die Antibiose angeordnet hat. Vllt wegen der OP?
Maus ist total schlapp, kann sich nicht mehr selbst drehen. Viel schlafen, viel weinen.
Ich habe heute sogar 3h am Stück schlafen dürfen. Beim Aufwachen überflutet mich die Realität und ich muss erstmal ne Runde weinen.
Nichts. Wir wissen nichts.
Gleich nochmal Blut abnehmen. Wenn ein Bett auf der Onko frei ist, dürfen wir heute wieder zurück in die Haunersche.
Bini und ich haben getauscht. Ergebnisse sind immer noch nicht da. Morgen gegen 8 Uhr geht's zurück zur Haunerschen. Heute war kein Bett mehr frei. Ich vermisse Mausi jetzt schon. Aber ich freue mich auch unendlich, Jakob aus dem Kindergarten abzuholen.
Gefühlschaos.
Auf der Heimfahrt drehe ich das Radio so laut auf wie es nur geht und schreie mich heiser. Danach fühle ich mich leer.
Ihr Bild am Kühlschrank
Ihr Kinderzimmer
Ihr Stühlchen
Ihr Zahnputzbecher.
Ihr Schnuller. Immer ein Stich ins Herz. Dabei ist ja noch bei uns. Und trotzdem fühlt es sich an, als ob ich Abschied nehmen muss.
Die Frau vom Psychosozialen Dienst sagt mir, wie gut die Heilungschancen bei Krebs im Kindesalter sind. Die Gespräche mit den Ärzten/Pflegern haben mir Kraft gegeben. Das fehlt hier "draußen". Ich laufe geduckt und verschlossen an den Mitmenschen vorbei, weil ich Angst habe, gefragt zu werden "wie geht's?".
Jakob braucht halt. Er braucht mich. Beim Spielen mit ihm kostet es mich alle Kraft anwesend zu bleiben. Seine Wut auszuhalten, dass ich keine Salamibrezeln kaufe, ist so anstrengend. Dabei ist mir das so wurscht. Von mir aus soll er ne Schubkarre voller Salamibrezeln bekommen. Aber er braucht halt. Grenzen.
Aushalten.
Alles ist gleich geblieben und doch ist alles anders.
Die erste Nacht ohne Anouk in meinem Arm.
Mir gehen die Worte von Bini durch den Kopf. Sie weint immer beim Beine hochhalten zum Wickeln. Der Blähbauch.
Jakob ruft mich und ich nehme ihn rüber zu mir ins Bett. Es tut gut, die kleinen Hände auf meinen zu spüren.
Mi, 07.12.22
Immer noch nichts Neues.
Mausi gehts aber wieder besser. Kein Fieber mehr, die blutige Nase ist auch kaum noch am laufen und sie albert wieder in gewohnter Manier herum.
Sie liegt jetzt wieder auf der Onkologie und Bini kümmert sich liebevoll um sie.
Ich fühle mich taub. Ich erzähle und erzähle und kann trotzdem nicht ausdrücken, was ich empfinde. Ich warte auf den Tiefschlag. Die Diagnose. Ich will nur noch meine Maus im Arm halten und wissen, dass alles gut wird. Zweite Nacht ohne Anouk. Ich fühle mich leer. Ohne meine Kinder kann und will ich nicht sein.
Jakob hustet im Schlaf. Ich hoffe, er wird nicht krank. Mein Kopf rattert. Ich will keine Chemotherapie. Ich will keine Bestrahlung. Ich will ein Wunder.
Do, 08.12.22
Ich stehe gerade an einem Autobahnparkplatz und versuche irgendwie meine Gedanken zu sortieren.
Heute bekommen wir wahrscheinlich die Diagnose bei der Visite.
Es ist halb 2 Uhr, als ich die Station verlasse. Jetzt noch eine Hiobsbotschaft, bevor ich nach Hause fahre? Das geht nicht.
Der Arzt soll mich anrufen.
Ich fühle mich so unfassbar zerrissen. Mein kleiner Großer braucht Normalität. Er braucht Halt und er braucht mich.
"Bitte hol mich wieder aus dem Kindergarten ab". Ich verspreche es ihm. Und werde es halten. Komme was wolle.
Sobald ich Anouk im Arm hatte, kamen wieder die Tränen. Meine Babymaus. Wieder Blut abnehmen, festhalten und irgendwo eine Stelle finden, wo man noch etwas Blut bekommen kann.
Von ihrer Hand wurde ein Abstrich gemacht, weil sie mittlerweile ziemlich eitert.
Bini ist gefasst.
Der sozialpsychologische Dienst kommt vorbei. Ich will gar nichts wissen. Ich will nicht daran denken, wie unser Leben nächste Woche aussieht. Ich weiß ja noch nicht mal, wie der morgige Tag aussieht.
Heute soll nochmal der Augenarzt kommen und wir bekommen eine Aufklärung bezüglich eines zentralen Zugangs. Falls die Kleine therapiert werden muss, geht das besser darüber. Dann wird sie wenigstens nicht mehr gequält bei der Suche nach neuen Venen.
Der Zugang wird unter Vollnarkose gelegt. Irgendwelche Schläuche, die dann am Hals rausschauen. Wenn wir es brauchen, dann soll es morgen schon gemacht werden.
Gehört das alles zu der Taktik, die Eltern Schritt für Schritt auf Chemo vorzubereiten??
Ich habe ein ungutes Gefühl und hasse es.
Bini meint,"wir schaffen es".
Ich verfluche es, zwei Kinder zu haben. Ich würde meine beiden nie mehr hergeben wollen, aber diese Zerrissenheit ist die Hölle. Anouk hat geweint, als ich gegangen bin.
Jakob hat heute geweint, als ich ihn in den Kindergarten gebracht habe. Er hat die Nacht über angefangen zu husten und die Stirn war etwas warm. Er braucht Mama. Sie braucht Mama. Und ich weiß nicht, wie ich das alles aushalten soll. Ich tue es zwar. Für Jakob. Für Anouk. Aber eigentlich würde ich am liebsten nur noch die Decke über den Kopf ziehen und nie mehr aufwachen.
Sie wissen immer noch nichts. Erst wenn die Diagnose steht, wird ihr dieser Katheter eingesetzt. Irgendwas mit Röhrchen und es wird kurz vors Herz geschoben. Ich könnte kotzen.
Sie muss nüchtern bleiben. Super. Wieder eine weitere Quälerei. Sie isst doch eh schon so gut wie nichts.
Falls man morgen die Diagnose nicht bekommt, dann macht man statt des Zugangs operieren ein PET-CT. Sehen ob und wohin der Tumor gestreut hat.
Ich habe Angst. Sobald ein Krebs streut, sinken die Heilungschancen rapide. Wieder zittern. Ergebnis vom PET CT üblicherweise am selben Tag da. Allerdings.. In seltenen Fällen..wenn der Oberarzt nicht grad Zeit hat, auszuwerten…dann wird das morgen nix. Und da Wochenende ist, würde ich erst Montag mehr erfahren. Ich mag nicht mehr und bin erschöpft. Was kommt als nächstes??
Ich brauche einen Plan, um irgendwie ein bisschen Normalität für Jakob zu erlangen und um ihn darauf vorzubereiten, dass Mama auch bald wieder zu Anouk ins KH geht.
Wir müssen ja schon den Mama-Wecker stellen, wenn ich ne Stunde zum Friseur gehe..Wie soll das alles nur werden?
Anouk fehlt mir so.
Und ich bin sauer, dass so ein scheiß Tumor meine ganze Familie ins Verderben stürzt.
Fr, 09.12.22
Maus schnarcht neben mir. Der Tumor macht die Nase zu.
Ich kuschel mit ihr und schaue mir Bilder vom Hickman-Katheter an. Warten. Noch keine Infos.
PET-CTist heute nicht möglich. Es soll ein normales Ganzkörper CT gefahren werden, um herauszufinden, ob irgendwo sonst noch solide Tumore wachsen. Da die Pathologie immer noch kein Ergebnis hat (scheint ein besonderer Fall zu sein) wird statt des Hickman Katheters heute Nachmittag beim CT ein ZVK gelegt. Sie ist eh unter Narkose.
Wurden gerade aufgeklärt über Knochenmarkspunktion und Lumbalpunktion. Je nach Diagnosestellung wird das heute auch noch gleich mitgemacht. Manche Krebszellen wandern dort auch umher.
Je nach Tumorart kann es sein, dass Maus dann gleich auch Chemo ins Nervenwasser bekommt.
Es schneit.
Nichts.
Daher nur zvk und normales ct. Diagnose wohl erst am Montag möglich. OP erst gegen 6 Uhr abends?! Maus hat so lange nichts essen dürfen..
Ich habe nochmal nachgefragt, ob es eine Hoffnung gibt, dass es doch gutartig sein kann. Er möchte keine falschen Hoffnungen machen. Sie gehen von etwas Bösartigen aus.
Ich hoffe, dass die Zeit reicht. Ihre Augen sind mittlerweile so geschwollen, dass sie sie kaum ganz schließen kann und ihr Tränenkanal ist irgendwie hervor gestülpt. Gut, dass heute noch ein Augenarzt wieder vorbeikommt.
Wenigstens kein RSV mehr. Dafür hat sie im Stuhl irgendeine Art von Norovirus nachgewiesen bekommen. Nicht schlimm, nicht behandlungsbedürftig, aber trotzdem weiterhin Isolation.
Morgen möchte ich zumindest den ganzen Tag über bei meiner Maus bleiben. Bini hat Freigang und wird etwas Zeit mit Jakob verbringen.
Der kleine Mann tut sich grad auffällig oft weh, und dann ist es ganz ganz schlimm. Er braucht definitiv Aufmerksamkeit.
Sa, 10.12.22
"Mama, bei mir bleiben!" Ich versuche Jakob vorzubereiten, dass ich heute ein paar Stunden weg muss. Ich versuche es ihm schmackhaft zu machen. Spielen mit Papa und Martin. Nein, nur die Mama.
Es ist so schön weihnachtlich. Der Schnee. Jakob hat gestern unbedingt noch Schneekuchen backen müssen.
Gino ist wie ein Welpe durch den Garten getollt.
Innerlich fühle ich mich betäubt.
Juhuuu, neues Türchen aufmachen.
Ui, toll, hast du das Auto für mich gemalt?
Klasse, wie toll du Zähne putzt.
Keine Freude. Nur noch leere.
Bini hat mir ein Video von der schnarchenden Maus geschickt. OP überstanden, der Zugang am Hals liegt.
Warten bis Montag. Fast bin ich dankbar, dass gerade keine niederschmetternde Diagnose kommt. Etwas Zeit, sich zu "gewöhnen".
Ich lese Erfahrungsberichte von Eltern mit krebskranken Kindern. Es scheint alles so hoffnungslos.
Stauungspapille. Ich habe die Worte vom Augenarzt im Ohr. "Es ist schlimm, aber aktuell ist nichts geschädigt. 2 Wochen sollte sie allerdings nicht damit herumlaufen. Der Druck muss weg."
Eine Woche ist seitdem vergangen.
Der letzte Ausweg ist der Tod und selbst der ist mir versperrt. Ich könnte meine Kinder niemals alleine lassen.
Ich denke über den Glauben nach.
Jakob hat mich letztens beim lesen der weihnachtsgeschichte gefragt: "wo ist Gott?" Da ist Maria. Da ist Josef. Aber wo ist Gott?
Ich schwafel etwas von "er ist überall" und würde ihm so gerne den Glauben schenken. Dass es jemanden gibt, der auf ihn aufpasst.
Aber ich kann es nicht. Ich glaube selbst nicht mehr daran.
Mama verlieren -> Eminem Album the Eminem Show
Leiche finden -> Soad Album mezmerize
Anouk krank ->Soad Album toxicity
Ich würde am liebsten die Musik laut aufdrehen und den Boxsack bearbeiten. Aber ich will Jakob keine Angst machen. Es ist so still und gemütlich. Radio dudelt im Hintergrund, Tonie Figuren reden vor sich hin. Wie immer. 2 meiner wichtigsten Menschen fehlen und ich hasse mich für das Gefühl, dass ich meine Babymaus verlieren werde. Ich will hoffen, positiv denken. Stattdessen breitet sich Sarkasmus aus.
Jakob kuschelt. Ein neuer Tag, ein neues Türchen.
Jakob spuckt. 38°. Ich werde meine Maus heute nicht mehr in den Armen halten. Das muss ein verdammt schlechter Scherz sein.
38,5°. Heute keine Maus. Morgen keine Maus. Dafür ein wütender Jakob, der sich an mich klammert. Als er heute gesagt hat, dass Anouk nicht heimkommen soll, war ich innerlich so wütend und gleichzeitig fühlte ich mich so hilflos. Vor Ihrem Tumor hat mich dieses Verhalten/ diese Aussagen schon sehr getroffen. Aber jetzt ist es kaum zum Aushalten.
Wenigstens wird im normalen CT kein weiterer Tumor entdeckt. Um zu wissen, ob Metastasen vorhanden sind, brauchen wir noch das PET-CT, aber immerhin mal gute Neuigkeiten.
Sobald ich Anouk im Video sehe, muss ich weinen. Sobald ich ihre Fotos sehe, muss ich weinen. Meine kleine süße Anouk. Sie fehlt mir so sehr. Ich will zu ihr, aber ich weiß auch, dass Jakob mich ganz dringend braucht. Diese Zerrissenheit bringt mich um.
So, 11.12.22
12 Jahre. Heute sind Bini und ich 12 Jahre zusammen.
Was wir alles schon gemeinsam gemeistert haben. Wie viel Scheiße wir erlebt haben. Wie viele lustige Momente.
Er fehlt mir. Ich wollte heute mit der ganzen Familie brunchen gehen. Meine einzige Sorge war, ob Bini und ich überhaupt entspannt zum Essen kommen.
Wie lächerlich. Hauptsache zusammen.
So schlimm alles ist, bekomme ich trotzdem den Glauben an die Menschlichkeit zurück. So viel ehrliche Anteilnahme. Von Freunden, aber auch von Fremden.
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"Entschuldige. Mein Kind liegt auf der Onkologie und ich habe keine Nerven für einen doofen PS4 Standfuß."
Ehrliche Anteilnahme. Er hat seinen Sohn durch einen Hirnschlag verloren. Man muss weiterkämpfen.
Heute darf ich nicht zu Anouk. Solange Jakob kränkelt, ist es zu gefährlich für sie. Die Behandlung muss schnellstmöglich gestartet werden. Nach der Diagnose am Montag wird Chemo gestartet. Das geht nur, wenn sie gesund ist.
Ich bin sauer auf Jakob. Wegen ihm kann ich nicht zu Anouk. Und gleichzeitig fühle ich mich mies, dass ich sauer bin. Er kann nichts dafür. Er klammert.
Mo, 12.12.22
Bini: In der Früh um halb neun geweckt worden zum Röntgen gefragt, ob ZVK richtig sitzt, ich hab noch 5 min.
Röntgen klappt hervorragend mit verschlafenen Maus in voller Windel. Ich in Bleijacke darf sie festhalten, sie ist ungeschützt bis zum Bauch.
Die Ärztin kommt spontan spät nachmittags nochmal rein. Sehr wahrscheinlich Ewing Sarkom.
Metastasen an den Rippen. Können nicht auf eine endgültige Diagnose warten, da der Druck im Auge weiter gestiegen ist.
Schwer behandelbar. Sie versuchen das Beste.
Erstmal heftigste Chemo. Ihr wird es sehr schlecht gehen. Eventuell braucht man Bluttransfusionen.
Jeweils 1 Woche Chemo, 2 Wochen Pause. Ein Jahr lang.
PET-CT am Donnerstag.
Die Welt ist kaputt. Scheiße. Fucking. Dreck.
Chemo hat um 18:40 Uhr begonnen. 4 Medikamente werden nacheinander über die Nacht verteilt verabreicht, letztens hab ich mich noch gefragt warum die Infusionsständer so viele Fächer haben, jetzt ist er fast voll. Überall Schläuche. In sehr seltenen Fällen kann es zu Krampfanfällen können.
Schwestern sind rufbereit. Vor der Tür ein Notfallkoffer mit u.a. Adrenalinspritze.
Sobald etwas auffällig ist, soll ich klingeln. Ich klingel oft, aber nur weil sich die Schläuche verhindern, oder Anouk schief liegt und die Pumpe wegen Überdruckalarm piept. Schwestern kommen stets schnell.
Windeln sollen nur noch mit Handschuhen gewechselt werden wegen der Chemo. Ich bin froh, dass wieder die Schwester da ist, die es schafft, die Windeln zu wechseln, während Anouk schläft, ohne sie zu wecken. 3. Medikament wird um 22 Uhr gestartet. Kein Krampfanfall, geschafft…. Ich darf ins Bett.
Mi, 14.12.22
In meinem Kopf schwirrt es. Vorwarnungen: Durch die Chemo kann alles noch mehr anschwellen. Auf meine Frage, was das für Ihren Sehnerv bedeutet kommt ein: " es ist noch schlimmer, nichts zu tun"
Zähne putzen ist wichtig. Bald wird das nicht mehr richtig möglich sein, weil ihr Zahnfleisch sich entzünden wird. Ich will das alles nicht hören! Tag für Tag denken.
Ich brauche keinen Realismus mehr. Ich brauche kein "sie ist todkrank", kein "wir hoffen auf ein Wunder". Ich brauche ein: "Klar, schafft ihr das!" Ohne diesen bedeutungsschwangeren Nebensatz "...egal wie es ausgeht".
Ich brauche kein Mitleid. Ich brauche Zuversicht. Ich brauche Freude an den kleinen Dingen, das Annehmen der Situation und das Weitermachen. Tag für Tag.
Meine Babymaus fehlt mir so.
Ich möchte unbedingt ein Löckchen von ihren Haaren abschneiden, bevor sie sie verliert. Ihre ersten Haare. Als sie auf die Welt gekommen ist, hatte sie schon so viele Haare. Ein kleiner, weicher, sanft duftender Flaum auf ihrem kleinen Köpfchen. Liebe hat mich vom ersten Moment an durchspült.
Jetzt durchspült sie Gift. Es hilft nichts. Weitermachen.
Ich werfe Bini fehlende Empathie vor. Er handelt und spricht nüchtern und sachlich.
"Wenn ich Empathie zeige, dann würde ich nur weinen".
Recht hat er. Und doch gruselt mich diese Nüchternheit. Während ich kurz vorm Weinen bin, wenn ich sie per Videocall unruhig schlafen höre und nichts machen kann.
Hilflosigkeit schafft Vertrauen. Mehr bleibt mir auch nicht übrig.
Ich sollte schlafen. Und doch möchte ich diese Momente der Ruhe nutzen, um nachzudenken. Zu Verarbeiten und mich zu sortieren, bevor der neue Tag anbricht.
Sobald es möglich ist, will ich nur noch zu ihr. Ein tägliches Gerenne um maximal mögliche Zeit mit ihr.
Mich nervt der tägliche Besuch im Testzentrum. Mich nervt, dass ich jedes Mal von vorne dieses Dokument ausfüllen muss, um einen kostenfreien Corona-Test zu bekommen.
Mich nervt der Stau. Die Parkplatzsuche. Das Rennen: hin zu Anouk. Hin zu Jakob.
Dieser doofe Adventskalender… jedes Türchen zeigt mir, wie schnell die Zeit verrinnt. Wie lange meine Babymaus schon nicht mehr zu Hause ist.
Berichte übers Ewing sarkom. Knochen die amputiert werden. Wie soll das bitteschön gehen im Gesicht?
Ich bin so wütend. Der Körper meines Babys wird zerstört und ich kann nur zuschauen.
Vllt muss man die Endlichkeit des Lebens akzeptieren. Wir sterben ja eh alle irgendwann.
Bini: Morgen ist PET-CT und Knochenmarkpunktion, ab 6 Uhr nüchtern bleiben, Schwester will mich zeitig wecken, damit ich ihr noch Milch geben kann. Dank Lene haben sie es auch noch geschafft, eine OP für den Hickman-Katheter einzuplanen, ohne den wir sonst nicht nach Hause können.
Heute Abend musste sie sich zweimal übergeben, kurzer Schluckauf davor. Beim zweiten Mal war ich vorbereitet, sie und das Bett sind sauber geblieben.
Hab den Arzt gefragt, ob wir Jakob testen müssen, er hat das verneint. Es ist extrem https://sites.google.com/view/anouks-abenteuer?usp=sharingunwahrscheinlich zudem tritt Krebs in dem Alter in der Regel zufällig auf. Wir können aber freiwillig mit Anouk an einer Studie teilnehmen, um herauszufinden, ob eine gewisse Prädisposition vorliegt.
Do, 15.12.22
Heute ist meine Babymaus auf den Tag genau 15 Monate alt.
Ich hoffe so sehr, dass Bini und Anouk zum Wochenende heim können. Ich möchte wieder beide Kinder in meinen Armen halten. Auch wenn das sicher wieder Geschwisterstreit hervorrufen wird.
Wir müssen stark sein. Es gibt keine andere Option.
Ich versuche irgendwie das Leben zu organisieren: Krippe absagen, Arbeitgeber informieren, Schlachtpläne entwickeln. Das Leben geht weiter. Jammern hilft nichts.
Ich möchte keine weiteren Nervenzusammenbrüche. Stark sein.
Vorm Schlafengehen spreche ich mit Jakob. Dass es sein kann, dass Mama bald wieder ins Krankenhaus muss.
Das viele Weinen von Mama hat ihn total beschäftigt. "Als ich dich besucht habe, hast du doll geweint". Beim nächsten Mal müsste ich doch gar nicht mehr weinen. Er wäre ja da.
Fr, 16.12.22
Mausi hat gestern ihre erste Bluttransfusion bekommen und ist ziemlich schlapp und k.o.
Dafür sieht ihr Gesicht schon viel besser aus!
Weil die Zellzerfallzahlen so hoch sind, bekommt sie ganz viel Infusion zum Durchspülen, dass die Nieren geschont werden. Erst wenn sie vom Tropf weg ist und "gute" Werte hat, darf sie heim.
Leider wurde uns gesagt, dass es den Kindern meistens ab Tag 5 nach Chemo ziemlich mies geht und dass auch viele Fieber entwickeln und dann wieder stationär aufgenommen werden müssen. Mit Pech geht die Zeit vom Tropf weg nahtlos in die Fieberzeit über…
Aber ein Tag zu Hause wäre ja schon schön.
Mausi schnarcht gerade neben mir, ich hab mich mit ihr aufs Bett gekuschelt und genieße ihre Nähe.
Keine Ahnung, wie das Wochenende wird. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass ich den nächsten Krankenhausaufenthalt übernehme. Andererseits kommt Jakob langsam zur Ruhe und wir bekommen Routine in dieser scheiß Zeit. Ich würde mich gerne zerteilen. Jakob braucht mich sehr. Jede Nacht kuscheln wir ganz ganz viel und er drückt sich richtig an mich und sagt "ich lass dich nie wieder los"...
Heute hab ich wieder Routine Termin bei meiner Psychiaterin. Tabletten gehen mal wieder zur Neige. Eigentlich wollten wir heute besprechen, wie ich mit dem Arbeitsstart zurechtkomme.
Mal sehen ob sie Tabletten hat für so eine Situation…
Es leuchtet nicht an den Rippen!!! Alle sind verwirrt, weil im PET-CT die angeblichen Metastasen nicht aufleuchten. Auch leuchtet es in ihrem Gesicht schwächer als vermutet. Ich bekomme Hoffnung und freue mich riesig. Auch wenn ich Angst habe, dass mir bald wieder der Boden unter den Füßen weggerissen wird.
Dienstag sollten wir das Ergebnis vom Pathologen bekommen. Die letzte Färbung war nicht auswertbar und muss wiederholt werden.
Ergebnisse der Knochenmarkspunktion kommen erst in ca. 2 Wochen.
Bangen. Hoffen. Verzweifeln. Und wieder von vorne.
Langes Gespräch mit dem Psychosozialen Dienst: Verdienstausfall, Pflegegrad/-geld, Schwerbehindertenausweis, Fahrtkostenerstattung, Krankschreibung/ Krankengeld, Anwohnerparkausweis…
Es gibt viel und doch nichts richtig. Wir beantragen jede Hilfe, die wir bekommen können und sehen dann weiter.
Wir beide wollen trotzdem irgendwie arbeiten. Ein Stück Normalität, ein Stück Ablenkung, ein Stück eigenes Leben.
Mo, 19.12.22
Seit Samstagabend endlich wieder vereint. Es ist so schön, alle wieder um sich zu haben. Andererseits ist es schwerer als gedacht…die Ängste/Unsicherheiten in Bezug auf Anouk, die Kraft- bzw. Hilflosigkeit bei der Erziehung beider Kinder, Gino,...
Wir haben viel Unterstützung und sind doch irgendwie allein. Überfordert. Verzweifelt.
Bin vorhin bei Jakob eingeschlafen. Für einen kurzen Moment hatte ich gedacht, dass das alles nur ein böser Traum war. Entspanntes Aufwachen, um von der Realität schön mal überfahren zu werden. Wunderbar.
Ab der Grenze des guten Geschmacks entwickelt sich ein Galgenhumor.
Die Feder von unserem Auto ist gebrochen. Wir dürfen nicht mehr damit fahren, bis die neuen Federn drin sind.
Dass da etwas mit dem Auto nicht stimmt, ist mir letzte Woche schon aufgefallen, während ich täglich viele km auf der Autobahn umher gerast bin. Keine Zeit, das Auto zu richten. Ich musste zu meinen Kindern.
Glück im Unglück. Dabei weiß ich nicht, ob es für mich nicht besser gewesen wäre, einfach einen Unfall zu haben. Zack und weg. Keine Sorgen mehr.
Andererseits will ich meine Kinder niemals alleine lassen. Es muss weitergehen.
Do, 22.12.22
Über 3 h in der Augenklinik. Stauungspapille fast gar nicht mehr vorhanden. Meine Nerven aber auch nicht mehr. Sowas Chaotisches habe ich selten erlebt.
Wir kommen völlig entnervt in der Tagesklinik an. Fieber messen. 38,6. Sofort sind alle alarmiert und wir "dürfen" wieder stationär aufgenommen werden. Maus ist so platt. Der Tag war anstrengend genug.
Da kein Bett auf der Onkologie frei ist, werden wir auf einer anderen Station zwischengelagert. 24h Antibiose und nochmal 24h Fieberfrei sein, bis wir heim dürfen.
Ich stehe neben mir. Und bin dankbar, dass Bini kommt und mich ablöst.
Ich wäre so gerne die starke Mama und wäre für sie da, aber ich will hier nur noch raus. Ich bekomme einen Hass gegen Krankenhäuser. Und ich denke an Jakob, der mich heute gebeten hat, dass ich ihn bitte bitte abholen soll. Diese Zerrissenheit ist fast noch schlimmer als der Krebs an sich. Ich weiß, dass mich beide Kinder brauchen und beide weinen, wenn ich nicht da bin. Bei Anouk habe ich nur die Hoffnung, dass sie mich "vergisst", wenn ich nicht da bin und sie wirkt auch so ganz glücklich mit Papa (außer ich bin irgendwie in der Nähe, dann will sie immer und sofort auf meine Arme). Aber wahrscheinlich ist es auch einfach nur meine Feigheit.
Ich fühle mich so mies, sie hier zu lassen. Aber genauso mies fühle ich mich, wenn Jakob im Kindergarten ist und nicht von Mama abgeholt werden kann.
Es ist die Hölle auf Erden. Schöner kann ich es nicht formulieren.
Wieder ein Wort gelernt: Leukopenie. Kleine Maus hat so gut wie keine Abwehrkräfte mehr.
Jetzt weiß ich zumindest, dass ich meine und Anouks Kliniktasche immer gepackt lasse. Und immer dabei habe. Ich hatte ja schon etwas angefangen..aber mir war nicht klar, dass wir so schnell wieder hier drinnen sind.
Mal was Praktisches: ich kaufe mir jetzt auch alles doppelt. So bin ich immer vorbereitet.
Fr, 23.12.22
Jakob hat Fieber. Hat sich mein Gefühl gestern nicht getäuscht, dass er krank wird.
Ich glaube, heute ist der Tag der Tage, an dem Jakob das erste mal vor dem Fernseher geparkt wird.
Ich habe keine Ahnung, wie diese Festtagsstimmung aufrechterhalten werden soll. Gestern habe ich so geweint, dass Jakob mir ein Plüschtier zum Trösten gebracht hat.
Anouk hat Keime im Katheter und darf die nächsten 10 Tage nicht heim. Geht also nahtlos in den zweiten Chemoblock über.
Man muss das Beste aus der Situation machen. Sobald ich nur ansatzweise über die ganze Situation nachdenke, wird es mir schlecht.
Sa, 24.12.22
Frohe Weihnachten 🎄
Mo, 26.12.22
4 Uhr morgens und ich lese Berichte über geheilte Krebspatienten. Auch, dass palliativ behandelte Patienten teilweise bis zum Ende ein "lebenswertes" Leben haben.
Wir haben es nicht in der Hand. Jeder Tag kann der letzte sein. Wer gibt mir die Garantie, dass Anouk den Krebs überleben wird? Niemand. Wer gibt mir die Garantie, dass Jakob nicht morgen von einem unaufmerksamen Autofahrer zusammengefahren wird? Niemand.
Wir versuchen diejenigen, die wir lieben, zu schützen und glauben, wir "hätten etwas in der Hand". Unsinn.
Das heißt nicht, dass wir in Panik verfallen sollen. Sondern einfach jeden Moment so zu nehmen, wie er ist.
Das war meine vorerst letzte Nacht zu Hause. Heute besuche ich meinen Bruder und starte dann direkt weiter in die Klinik. Endlich mein Baby wieder Tag und Nacht um mich haben. Und Tag und Nacht Jakob vermissen.
Er liegt gerade neben mir und kuschelt sich eng an meinen Rücken. Wie sehr ich ihn liebe. Und wie sehr es mir wehtut, zu sehen, wie traumatisch der Abend der Diagnosestellung für ihn gewesen sein muss. Ich hatte mich im Zimmer eingeschlossen. Nach dem Telefonat hab ich in mein Kissen geschrien. Gehauen. Geweint.
Jakob wollte in mein Zimmer.
"Nein, da kannst du jetzt nicht rein"
"Aber sie weint! Ich muss sie trösten!"
Das beschäftigt ihn seitdem täglich. Ich verspreche ihm, mich nicht mehr einzusperren. Täglich. Damit er mit den Plüschtieren trösten kann.
Auch soll ich nicht mehr weinen, wenn er mich besucht. "Ich bin doch dann da".
Mein kleiner Großer muss so viel aushalten und ich bete nicht nur für ein Wunder für Anouk, sondern auch für Jakob, dass er aus dieser Situation weitestgehend unbeschadet herauskommt.
Dieser scheiß Krebs hat nicht "nur" Auswirkungen auf meine kleine Maus, sondern auf alle. Das macht es so grausam.
Ich habe Angst vorm Krankenhaus. Das eingesperrt sein. Die tägliche Konfrontation mit der Krankheit. Das Aufwachen durch ihr Weinen.
Zumindest kann ich bei ihr sein. Sie fängt an, mich zu vermissen. Weint, wenn sie meine Stimme hört. Ruft:"Mamaaa!!", wenn sie mich im Video sieht und weint bitterlich.
Es bricht mir das Herz..
Praktisches Denken: Wann wasche ich mir sinnvollerweise nochmal die Haare? In der Klinik werde ich kaum dazu kommen.
Bini schreibt. Verdacht auf Clostrodien im Stuhl. Bis die Ergebnisse da sind, ist wieder Isolation angesagt.
Ich lese über zu viele Antibiotika. Kommt wohl im Krankenhaus häufiger vor.
Sie hat dolle Schmerzen und ich ärgere mich, dass sie das Krankenhaus noch kränker zu machen scheint.
Mi, 28.12.22
Wie sehr sie mir gefehlt hat... Ihre Wärme, ihr Duft..
Sie klammert sich ganz viel an mich und ich genieße das Gefühl, endlich wieder für sie da sein zu können.
Anouk ist leider total aus dem Rhythmus und ist gestern bis 22:30 wach geblieben und hat herumgetollt.
Ich hoffe, dass die Isolation bald ein Ende findet. Sie braucht Bewegung!!
Ihr Popo ist nach wie vor offen und das tut ihr richtig weh. Trotzdem bin ich froh, ihr endlich bei Seite stehen zu können. Sie trösten zu dürfen.
Die Nacht war chaotisch. Wieso muss hier alles und ständig piepen. Am "sinnvollsten" erachte ich den Pulsmesser. Mir ist durchaus bewusst, dass, wenn mein Kind schreit, der Puls kurzzeitig hoch schießt. Da brauch ich dann zu Anouks Geschrei nicht auch noch den Überwachungsalarm.
Gestern war ihr Arzt nochmal da.
Der zweite Versuch, die Chromosomenmutation nachzuweisen, ist auch nicht geglückt. Offenbar bewegen sich die Werte im Grenzbereich. Die Pathologen gehen trotzdem nach wie vor von einem Ewing Sarkom aus. Jetzt gibt's noch andere Tests. Sequenzierung in der molekularen Pathologie. Wann Ergebnisse kommen? Keine Ahnung.
Wie ging nochmal NGS? Irgendwie holt mich gerade mein komplettes Studium ein.
Nachfrage, was es denn nun bedeutet, wenn es im Pet CT weniger leuchtet bzw. bei den Rippen gar nicht. Das Bild wurde unter Chemo gemacht, sodass sie da schon so gut gewirkt haben könnte. Das rasche Ansprechen hat sie dennoch sehr gewundert. Ob man dann (wenns bei der Diagnose Ewing Sarkom bleibt) vllt weniger Chemo bräuchte?
Leider nein. Ewing sarkome tendieren stark dazu wieder zu kommen und in diesem Fall sind die Zellen dann meist resistent gegen Chemo.
Also den Körper zuballern. In der Hoffnung, dass keine Krebszelle überlebt.
Hoffnung. Gestern war die Seelsorge da. Es tat gut, mit dem Pfarrer zu reden. Ich sagte ihm, wie sehr ich mir wünschte, dass es einen Gott gibt. Dass es jemanden gibt, der auf meine Mäuse aufpasst. Und ich möchte so gerne diesen Glauben auch an meine Kinder weitergeben.
Glaube, Liebe und Hoffnung gehören zusammen.
Ich muss nicht glauben, um zu beten. Ich darf auch einfach "nur" hoffen.
Ergebnisse von der Knochenmarkspunktion?
Sie hätten nichts gesehen, aber sie schicken es zur Abklärung zu den Experten fürs Ewing Sarkom. Da aber ja noch nicht final bestätigt ist, dass es das Ewing Sarkom ist, schicken sie es noch nicht los. Eins, was ich jetzt bereits gelernt habe, ist Geduld. Egal ob heute, oder morgen, in einer Woche oder in einem Jahr. Es nervt, aber es nervt noch mehr jeden Tag als den “Tag der Tage” zu erwarten. Wenn's passiert, passiert's.
Wurde das jetzt im CT als Metastasen gewertet oder nicht?
Weiß der Arzt gerade selber nicht, muss er nochmal in den Akten ansehen. Letztendlich ist irgendwie ALLES uneindeutig bei der Maus. Da hoffe ich wieder, dass es doch nicht alles so schlimm ist wie befürchtet. Ich klammere mich an die Aussage vom Pfarrer:
“Metastasen sind kein Todesurteil.”
Und Dr. P.: “Wir wollen Sie heilen und davon gehen wir jetzt auch aus, dass das klappt”.
Andererseits immer die Betonung auf sehr malignen Tumor. Also ob maligner Tumor nicht schon schlimm genug ist.
Hab gerade Jakob im Videocall gesehen. Er ist krank und wirkt traurig. "Mama zu dir!"
Ich würde mich so so gerne zerteilen.
Endlich schläft Anouk. Außer einem kurzen Powernap von 5 Minuten gab's heute keinen Mittagsschlaf. Es ist unfassbar anstrengend, Anouk sinnvoll zu beschäftigen. Nach wie vor Isolation. Und da zwischen den Feiertagen etliche im Urlaub sind, kann ich nicht mal auf Bespaßung durch die Ergotherapeutin oder Musiktherapeutin setzen.
Wenn ich das Zimmer verlassen will, um essen zu holen, setz ich sie vor die Sendung mit der Maus und dem Elefanten. So etwas wollte ich nie machen, aber anders habe ich keine 5 Minuten Ruhe. Sie schreit, sobald ich das Zimmer verlasse.
Es ist gruselig, wie paralysiert sie vom Fernsehen ist. Ich weiß, Erziehung ist gerade nicht das Wichtigste, aber mich nervt, dass selbst da nichts mehr nach Plan läuft.
50 Minuten mit einem weinenden Jakob telefoniert. Es zerreißt mir das Herz.
14 Tage Antibiose wegen der Pseudomonas Infektion. Heute ist Tag 5.
Do, 29.12.22
Neuer Tag, neuer Knast. Da wir gerade "nur" Infektionspatienten sind, sind wir auf die Intern 5 verlegt worden.
Vorteil: Eine Dusche im Zimmer.
Nachteil: sieht so aus, als ob ich nicht mal kurz in die Küche darf.
Jetzt geht wieder der übliche Kram los:
Bitten um einen Hochstuhl
Bitten um ein normales Bett mit Rausfallschutz.
Bitten um heißes Wasser.
Bitten um Joghurt.
Stehe schon wieder total bekloppt neben dem Gitterbettchen und würde mich gerne zu ihr setzen.
Jepp, definitiv Knast. Darf nicht raus. Nicht in den Gang, nicht in die Küche, nirgendwohin. Corona war ein Dreck dagegen. Ich fühle mich so gefangen.
Irgendwie hab ich gar keine Zeit, das Thema Krebs zu verarbeiten. Es ist so viel Trubel drumherum, dass ich gar nicht mal zur Ruhe komme. Selbst ohne diese Horror Diagnose wäre es schon schlimm für mich. Ich hasse Krankenhäuser. Und dann rege ich mich über Kleinigkeiten auf, bin genervt von den ganzen Anträgen/ Erstattungen und immer die Frage, wie es mit der Arbeit weitergehen soll. Das einfachste wäre echt sich krank zu melden. Bini und ich. Damit wir in den “normalen” Phasen vllt auch mal Kraft tanken können.
Ich kann nicht schlafen, weil ich über Gott, Jesus und Buddha nachdenken muss. Und über den Glauben an sich. Mein Kopf schwirrt.
Fr, 30.12.22
Emotionale Achterbahnfahrt!
Ich bin genervt vom Krankenhaus,
Ich bin wütend auf den Krebs, weil er nicht "nur" meine Tochter, sondern auch meinen Sohn, meinen Mann, mich und nicht zuletzt uns als Familie negativ beeinflusst.
Kann man das als Familie überstehen?
Ich bin traurig über die Tatsache, nicht bei beiden Kindern sein zu dürfen.
Ich vermisse Jakob. Ich vermisse Anouk. Ich vermisse meinen Mann.
Ich bin im Organisationsmodus und erschrecke mich vor mir selbst, wie emotionslos ich den Antrag für einen Schwerbehindertenausweis ausfülle.
Ich freue mich über zwei Tauben auf dem Balkonsims im Isolationszimmer.
Ich bin traurig, dass sich Anouk auch so freut. Wie viel tolles sie noch gar nicht hat entdecken dürfen auf dieser Welt.
Ich bin hoffnungsvoll und denke an das Ende der Therapie.
Ich bin verzweifelt, weil ich Angst habe, meine Tochter zu verlieren.
Ich habe Angst vor weiteren Tiefschlägen, Metastasen, Rezidiven,..
Ich bin wütend, weil ich das Gefühl habe, im Krankenhaus noch kränker zu werden. Pseudomonas, Clostridien, Infektion an der Hand, Infektion am Po. Arme Anouk. Klingt für mich alles vermeidbar, wenn es in einer anderen Atmosphäre behandelt worden wäre.
Ich habe Fieber und Husten. Keine Möglichkeit, frische Luft zu schnappen (nur mit der Nase am gekippten Fenster. Weiter geht es nicht auf). Ich habe Angst, dass ich Anouk angesteckt habe. Angst, dass wir nochmal länger hier sein müssen. Dass die Chemo verschoben wird.
Bin heute 1,5 h in einem 15 qm Zimmer auf und ab spaziert. Anouk an der Hand. Sie will laufen.
Mir fällt die Sozialarbeiterin ein: Viele Krebspatienten bekommen durch die Chemo eine Muskelschwäche. Daher darf sie ggf. auch "gehbehindert" in ihrem Schwerbehindertenausweis stehen haben.
Meine Maus soll tanzen, lachen, sich ausprobieren. Sie will alles selbst machen. Isst primär nur, wenn sie selbst löffeln darf.
Ich bin so stolz auf sie und andererseits unfassbar genervt und wütend, sie in ihrem Tatendrang bremsen zu müssen.
Ich hasse die Kabel.
Ich hasse es, dass der Hicki (welch blöde Bezeichnung für einen blöden Katheter) so lange Kabel hat.
"Der Hickman ist ein Segen. 2 kleine Schläuchlein, die an der Brust angeklebt werden, wenn man sie nicht braucht".
Pustekuchen! Die fingerdicken Kabel hängen Anouk bis zu den Knien. Durch das Gewicht kommt zusätzlich Zug auf das Gewebe. Der "Hickibeutel" ist ebenfalls viel zu lang und viel zu unbequem. Jetzt hängen Bänder vom verkürzten Beutel um Anouks Hals. Sie scheuern am Hals.
Ich hab versucht die Bänder mittels Kompressen bequemer zu machen. Keine Ahnung, ob das hilft.
Sa, 31.12.22
Schwitzen/ Frieren/ Halsweh/ Kopfweh/ Husten…ich bin bedient. Ich will nur noch meine Maus einpacken, nach Hause, mich in mein Bett legen und ausruhen.
Mo, 02.01.23
39,1. Anouk hat Fieber.
Keine Ahnung was das für ihre eigentlich heute geplante Chemo bedeutet. Fühle mich mies, dass ich sie angesteckt habe.
Ein weiterer Tag auf der i5. Weiter beobachten und wenn sie morgen fieberfrei ist, darf sie zur Chemo. So wie ich die Maus kenne, wird sich das Fieber aber etwas ziehen.. Es ist frustrierend.
Ergebnis vom Abstrich ist da: Anouk hat Influenza. Ich dann wohl auch.
Was für ein Spaß.
Mi, 04.01.23
Anouk ist wieder fit. Dank Tamiflu hat sich die Influenza wohl gar nicht so breit gemacht. Die kleine Maus lacht und strahlt und verzaubert jeden, der ins Zimmer kommt.
Ich habe mir noch ne Mittelohrentzündung eingefangen. So viele Schmerzmittel habe ich schon lange nicht mehr genommen.
Lustigerweise darf man als Erwachsener im Kinderkrankenhaus nicht krank werden, denn:
Kein Arzt darf mich untersuchen, darf mir nichts verschreiben etc. Und der kassenärztliche Bereitschaftsdienst darf mich auch nicht besuchen. Weil ich ja im Krankenhaus bin. Wenn ich nicht so Schmerzen hätte, wäre es fast schon lustig.
Gestern hat sich endlich ein Onkologe erbarmt und uns besucht. Ich hatte tausend Fragen.
Wir hatten scheinbar echt Pech mit der Sepsis. Wobei ich mir dann denke, Moment, Sepsis? Davon hat sonst niemand geredet. Scheinbar war es sehr gefährlich für die Maus. Normalerweise ist man in der chemofreien Zeit zwar schon wegen Fieber ab und an für je 2-3 Tage stationär. Aber diese 14 Tage… da hatten wir einfach Pech. Es tat gut, mal wieder mit “geschultem” Personal zu reden. Die Ängste, die Sorgen, der Frust, die Wut,.. das alles durfte adressiert werden. Es war schön, auf Verständnis zu stoßen. Und: “Statistiken helfen Ihnen nicht. Ihr Kind ist krank. Und wir machen alles, dass es wieder gesund wird. Das und nicht weniger ist unser Ziel.”
Falls ihre Blutwerte und die Blutkultur ok sind, dann darf sie morgen mit der Chemo starten und wir endlich wieder auf die i3 (es sei denn, es ist kein Bett frei…).
Ich werde dann mit Bini tauschen. So gerne ich bei ihr bin. 8 Tage eingesperrt, ohne Tageslicht oder offenes Fenster haben ihre Spuren hinterlassen. Ich schwanke zwischen totaler Verzweiflung und Aggression und im nächsten Moment versuche ich wieder mit Anouk herumzualbern. Außerdem würde ich gerne zum Arzt gehen können, wenn die Schmerzen nicht aufhören…
Da ist sie schon wieder, die Zerrissenheit. Ich fühle mich mies, sie alleine zu lassen. Ich freue mich auf Jakob. Auf Tageslicht. Ich würde sie am liebsten einpacken und mitnehmen.
Ich frage mich, ob man die Krebsdiagnose eigentlich je verarbeiten kann? Die Nebenkriegsschauplätze sind so groß, dass mir einfach die Möglichkeit und Zeit fehlt, meinen ganzen Gefühlen und Gedanken Raum zu geben. Wahrscheinlich kann man erst anfangen zu verarbeiten, wenn der Schrecken ein Ende hat.
Chemo auf Montag verschoben. Dann können sich ihre Leukos noch etwas erholen, welche durch die Influenza etwas zurückgegangen sind. Sie bekommt wieder GCSF (Wachstumsfaktor für die Granulozyten).
Nach Hause dürfen wir nicht, weil sie bis Samstagabend noch die Antibiotika Infusionen wegen der Sepsis bekommt.
Es ist so nervig. Bis dahin bleiben wir noch auf der i5.
Morgen tauschen Bini und ich.
Gemischte Gefühle. Aber jetzt auch Mitleid. Diese Station am Wochenende und am Feiertag? Bini tut mir Leid..
Mo, 09.01.23
Chemo soll auf morgen oder übermorgen oder Donnerstag verschoben werden. Wenn das endgültige Ergebnis der Pathologie da ist. Bei der DNA Analyse war es immer noch nicht ganz eindeutig , ob es nun wirklich ein Ewing-Sarkom ist. Es scheint wohl schwer zu sein, diese Tumorart zu bestimmen. Zwar sehen die Zellen so aus wie bei einem Ewing Sarkom, aber die Chromosomenmutation und die Sequenzierung sind nicht so eindeutig.
Scheinbar war es anfangs durch das starke Wachstum und die Gefährdung ihres Augenlichts vertretbar, mit der Chemo loszulegen (und ich bin auch dankbar, dass sie das getan haben), aber jetzt ist es ihnen wohl zu heikel. Erst muss die Pathologie sich einig werden, was Anouk hat. Erst dann wird mit der Chemo weitergemacht. Anouks Fall soll jetzt mit höchster Dringlichkeit priorisiert werden.
Ich schwanke zwischen Hoffnung und Panik.
Bini teilt mir alles resigniert mit. Auch, dass sie weiterhin in Isolation sein müssen. Dabei ist sie RSV, Corona und Influenza negativ. Aber auf einmal soll ihre Wunde am Po der Grund sein, warum sie nicht aus ihrem Zimmer raus darf.
Ich werde wütend. Unnütze Zeit im Krankenhaus. Meine Familie sollte nicht grundlos getrennt werden. Nein, nicht mit mir.
Ich rede etwas eindringlicher mit den Ärzten und bekomme das Ok, Bini und Anouk abzuholen. Seien es nur 24 h daheim...besser als nichts. Diese gemeinsame Zeit brauche ich, um Kraft und Zuversicht für die nächste Trennung zu schöpfen.
Ich habe Bini und Anouk mit Jakob abgeholt und bin irre glücklich.
Anouk quietscht und lacht und freut sich riesig über Jakob und Gino und ihre Plüschtiere und ihre Rutsche ...und den Staubsauger.
Es ist so unfassbar schön, alle da zu haben.
Jakob freut sich, dass er endlich die Päckchen vom Christkind aufmachen kann, auf denen "Für Jakob und Anouk" steht.
Di, 10.01.23
Morgen muss Mausi wieder in die Klinik für die Chemo. Wenn das Ergebnis morgen nicht da ist, müssen sie trotzdem weitermachen. Dann müssen Bini und ich wieder unterschreiben und zustimmen, dass sie ohne genaue Diagnose Chemotherapie geben.
Ihre Daten liegen wohl bei einer Koryphäe in Bonn (Dr. Fokuhl oder sowas?) und sie hoffen inständig, dass der eine Diagnose stellen kann. Scheinbar liegen schon alle Daten von Anouk vor. Die Interpretation der Daten gestaltet sich wohl als echte Herausforderung.
Mit der nächsten Chemo sollte man halt auch nicht zu lange warten, damit der Tumor nicht wieder größer wird. Keine Ahnung, ob der dann auch Resistenzen bilden kann.
Anruf vom Arzt: Anouks Tumor hat einen Namen: kein Ewing-Sarkom, sondern ein undifferenziertes Sarkom
Vom zeitlichen Ablauf würde sich im Grunde nichts ändern, nur die Chemozusammensetzung/ Dosierung wird sich wohl ändern. Das wird alles morgen noch abgesprochen.
“Ist das jetzt gut oder schlecht?” will ich wissen: Antwort: “Es ist keine Hiobsbotschaft, aber wir brauchen trotzdem intensivste Chemo”
Ich kann damit nichts anfangen. Ich bin traurig, obwohl es eigentlich nichts ändert. Vllt. weil ich im tiefsten Inneren gehofft habe, dass es doch was ganz anderes ist. Dass sie vielleicht doch keinen Krebs hat. Dass meine kleine Maus doch nicht so lange von uns getrennt ist.
Morgen gibt es erst einmal ein CT, damit die Metastasen an der Rippe genauer betrachtet werden kann. Warum kein Pet-CT? Keine Ahnung. Ich habe Angst, was dabei rauskommt.
Geht jetzt morgen doch nicht die Chemo los?
Ich fühle mich,als ob ich fallen würde. Morgen früh verschwinden zwei meiner liebsten Menschen wieder aus meiner Nähe. Wie soll man das nur so lange durchhalten? So schön das Wiedersehen, so grausam ist die Trennung. Ich mag nicht mehr.
Do, 12.01.23
Gestern Abend hat die Ärztin noch mit uns telefoniert.
Die Auffälligkeiten an ihren Rippen sind dank Chemo nicht mehr da. Daher muss man davon ausgehen, dass es sich um Metastasen gehandelt hat. Daher wird Anouks Tumor als Stadium IV eingestuft.
Neuer Chemoplan. Ebenfalls eine sehr heftige Chemo. Ein Medikament kann ihr Gehör irreversibel schädigen. Sie wollen darauf ein Auge haben und immer wieder Hörtests mit Anouk machen. Falls sich etwas verschlechtert, muss man sich andere Alternativen überlegen. Ich frage mich, wie so ein Hörtest ablaufen soll. Sie kann ja schlecht sagen, wo/was/wie im Ohr ankommt.
Die Übelkeit soll schlimmer werden bei den neuen Medikamenten.
Sie reden aber von Heilung. Wie die Chancen stehen, kann man erst sagen, wenn die ersten 3 Chemozyklen rum sind.
Insgesamt sollen es 9 Chemozyklen geben, parallel soll ab der 4ten Chemo eine Bestrahlung stattfinden. Eventuell auch Operation. Im Anschluss sind nochmal 8 Chemozyklen geplant, die allerdings in Tablettenform zu Hause eingenommen werden kann. Ein langer Weg bis dahin.
Das Gute: Der zweite Chemoblock ist kurz. Gestern hat Anouk schon das Gift bekommen, heute wird sie “nur” noch gewässert. Dann gibt es an Tag 8 und 15 nochmal eine Chemoinfusion in der Tagesklinik.
Mit Glück darf sie heute Abend schon heim. Wenn sie kein Fieber hat. Maus hatte heute Vormittag 38 Grad. Mal sehen. Wir hoffen spätestens morgen auf ein Wiedersehen.
Fr, 13.01.23
Seit gestern Abend sind wir wieder zusammen. Nachdem ich Jakob im Bett hatte, kam der Anruf von Bini, dass sie heim dürfen.
Jakob in eine Decke gewickelt und ab durch München.
Anouk ist leider um halb 2 Uhr aufgewacht und hat nur geschrien. Durch nichts hat sie sich beruhigen lassen. Windel? Hunger? Durst? Schmerzmittel? Mittel gegen Übelkeit?
Irgendwie hat nichts geholfen.
Es war der Horror für mich. Das erste Mal seit der Geburt meiner Kinder habe ich Bini geweckt und gebeten zu übernehmen. Sie schreiend zu übergeben tat so unfassbar weh.
Jakob hat nach Mama gerufen und nach 1,5h schrillem Geschrei wollte ich nur noch schlafen.
Seit ihrer Diagnose hat sich alles verändert. Ich schaffe das Schreien nicht mehr.
Meine Gefühle schwanken so heftig hin und her. Kurzzeitig gibt es normale/ lustige Momente. Und dann kommt wieder der Einbruch.
Ich lese mir die ganzen Unterlagen vom Krankenhaus durch: das Studienprotokoll/ Behandlungsschema, Aufklärung zur Chemo, Aufklärung über Weichteilsarkome..
"Unbehandelt führt das aggressive Sarkom innerhalb von wenigen Wochen/Monaten zum Tod". Das macht mich fertig. Hätte sie ihre erste Chemo nicht so schnell bekommen, wäre sie vielleicht schon nicht mehr bei uns.
Intelligenzminderung, Wachstumsstörung, Zweittumore…alles Langzeitfolgen der Chemo.
Ihre Medikamente können auch Halluzinationen und Psychosen hervorrufen. Vllt war das der Grund, dass sie gestern so geschrien hat?
Wie soll mein Leben weitergehen? Mein erster Gedanke zur Erhaltungstherapie (nach den krassen Chemos muss sie "nur" noch oral Chemo-Tabletten einnehmen) war: "Cool, dann gibt's wieder Normalität. Sie darf wieder in die Krippe, alles wieder beim alten"
Jetzt frage ich mich: schaffe ich es jemals wieder, eine Art von Unbeschwertheit zu erlangen? Schaffe ich es, sie in die Krippe zu geben, wenn sie keine Lust hat und ich aber arbeiten muss? Schaffe ich es, sie loszulassen? Oder Jakob?
Meine Gedanken rasen.
Ich denke immer wieder an die Tagesklinik in München.
"Warum wollen Sie denn nicht mehr leben?"
"Weil doch nur noch Mist auf einen zukommt. Krankheiten/ Tod..Ich werde meine Eltern verlieren. Vllt stirbt mein Mann vor mir. Alles Schöne ist vergänglich und macht mich eigentlich im Nachgang nur noch traurig."
Wie recht und gleichzeitig unrecht ich hatte.
Ja es ist scheiße. Aber die Vorstellung, die Geburt meiner Kinder, den ersten Kuss auf ihre warme Haut, den Duft ihres Köpfchens nicht gehabt zu haben,...nein, es war gut weiter zu leben. Diese unfassbare Liebe hält mich am Leben und gleichzeitig macht sie mich so verletzlich.
Ich darf meine Kinder nicht verlieren.
So, 15.01.23
Es ist unwichtig. Aber irgendwie hatte ich gedacht, dass es bei Krebs 5 Stadien gibt. Es gibt nur 4. Anouk hat Stadium 4. Zwischen all der "Normalität", während die Kinder schlafen, taucht auf einmal wieder diese unfassbare Bedrohlichkeit auf.
Ich war heute genervt. Genervt, dass ich mein Kind offenbar nicht mehr kenne. Anouk weint und ich weiß nicht wieso.
Anouk will was, aber ich weiß nicht was. Ich fühle mich so hilflos.
Und jetzt liegt sie gerade im Bett und ich merke, wie mich die Angst überkommt, sie zu verlieren.
Ich denke an das Wort "schwer zu therapieren". Ich denke daran, dass Frau B. erst die nächsten Chemos abwarten möchte, um eine genauere Prognose abgeben zu können. Wahrscheinlich will sie uns als Eltern nicht beunruhigen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Dabei soll hier nichts und niemand sterben. Erst recht nicht meine Kinder.
Di, 17.01.23
Morgen geht's wieder nach München zur ambulanten Chemo.
Ich habe Angst. Wieder Infusionen, wieder Schläuche, wieder weinen, …
Dasselbe Gebäude. Die Angst vor der stationären Aufnahme.
In kurzen Momenten vergesse ich den Krebs. Dann sind wir einfach Familie. Aber die Therapie holt uns in die Realität zurück.
Ihre Wimpern fallen immer mehr aus. Sie sieht krank aus. Sie ist krank. Aber das will ich nicht wahrhaben.
Sie liegt gerade neben mir. Wie wunderschön sie ist. Wie niedlich. "Dasda" sagt sie so oft. Wenn sie wissen will, was etwas ist oder wenn sie etwas haben will
Ich liebe sie so. Meine Babymaus.
Mi, 19.01.23
Nach der Blutabnahme kam das ok für zu Hause. Welch Erleichterung!
Ihre Blutwerte sind zwar weiterhin auf dem absteigenden Ast, aber nicht schlimmer als erwartet. Weiterhin gut beobachten und am Montag wieder zur Blutabnahme in die Tagesklinik. Dienstag kommt dann der MDK zu uns wegen Anouks Pflegestufeneinschätzung. Mittwoch wieder in der Tagesklinik mit Chemospritze.
Sie schreit sehr viel. Vor allem nachts. Heute Nacht durfte ich nicht von ihrer Seite weichen. Auch ok, solange sie aufhört zu schreien.
Do, 20.01.23
Anouk hat Fieber bekommen. Bini ist mit ihr via Taxi wieder in die Klinik. Eigentlich waren wir auf sowas vorbereitet. Aber trotzdem ist es doch ein Schock. Dieses spontane Auseinanderreißen unserer Familie tut weh.
Fr, 21.01.23
Ihre Nase blutet. Sie bekommt jetzt wieder eine Bluttransfusion. Diesmal Thrombozyten.
Sa, 22.01.23
Sie bekommt noch eine Bluttransfusion. Erythrozyten. Da sagt dann die Schwester zu Bini, dass er dann ja in ner Stunde gehen könnte.
So viel Freude. Er bestellt das Taxi, ich desinfiziere das Haus, tausche alle Handtücher, putze wie eine Wilde und bin voller Freude.
Nur 50km/h auf der Autobahn. Es dauert ewig, bis ich Anouk und Bini wieder in die Arme nehmen kann.
Sie will nichts essen. Den ganzen Tag schon nicht. Auch nichts trinken. Ihr Speichel ist extrem zäh/dickflüssig. Während ich Jakob ins Bett bringe, verschluckt sich Anouk so heftig am Speichel, dass Bini kurz davor war den Notarzt zu rufen. Sie hat sich dann aber doch noch gefangen. Anruf in der Klinik: wir sollen das weiter beobachten. Bini ist schon Experte. Das war wohl die Schwester, die er nicht so leiden kann.
Ich messe vorm zu Bett gehen. 38,3. Sie weint und ich kuschel ganz viel mit ihr. Sie schläft auf mir ein und ich darf mich nicht wegbewegen. Sobald meine Hand ihren Körper verlässt, fängt sie an zu weinen.
Sie wacht auf. Wieder Tränen. Sie hat Hunger, aber kann nichts essen/trinken. Fläschchen lehnt sie wieder ab. Selbst Gummibärchen, die sie so toll findet, hat sie abgelehnt. Wieder dieser zähe Speichel. Ich messe nochmal 38,1.
Bini ruft in der Klinik an. Wir sollen reinkommen. Taxi. Wenigstens sind die Sachen schon gepackt bzw nicht mal ausgepackt.
Ich bin sauer, dass dieses Ohrthermometer so ungenau ist. Je nach Winkel schwankt es über 1 °C. Ich "nehme" daher die höhere Temperatur.
Ich bin sauer auf die Entlassung, wo es ihr doch nicht so gut ging. Andererseits bin ich dankbar, 3 h intensives Kuscheln erfahren zu haben. Sie in den Armen zu halten.
Die Trennung bricht mir wieder das Herz.
Wie soll man das nur ertragen?
Di, 24.01.22
Viel Ablenkung. Viel alte Muster. Und dann kommt die Realität von hinten angeschlichen und haut mir auf den Schädel. 24 h fieberfrei, dann darf Maus heim. Es ist unsicher, ob sie morgen die letzte Chemospritze ihres zweiten Chemoblocks bekommen kann.
Ich will zu ihr und gleichzeitig will ich nicht ins Krankenhaus. Es ist zum Kotzen.
Mi, 25.01.22
Meine Familie fehlt mir so. Ich will mich nicht mehr entscheiden müssen: entweder Jakob oder Anouk. Für Bini kann ich mich nie entscheiden. Immer getrennt. Immer zerrissen.
Anouk hat heute wenigstens die Chemospritze bekommen. Somit ist der 2. Chemozyklus geschafft!
Wenn sich ihre Zellen erholen und sie feste Nahrung zu sich nimmt (aktuell will sie nicht mal Fläschchen, weil ihr ihr Mund so weh tut), dann darf sie heim. Vermutlich Samstag oder Sonntag. Dabei geht nächste Woche ja schon der dritte große Chemoblock los. 4 Tage stationär und dann nochmal 2 Chemospritzen im Wochenabstand. Und dazwischen wird es ihr sicher wieder nicht gut gehen. Ich hab die Schnauze voll von Krankenhaus. Da fiebert man der Entlassung entgegen, aber eigentlich ist nach der Entlassung vor der Aufnahme. Dann ist man wenige Tage beieinander, der ganze Rhythmus ist komplett im Eimer und dann gibt's wieder ne Trennung. Wir haben keine Wahl und müssen da einfach durch. Aber mir fehlt jetzt schon die Energie. Dabei bin ich gerade in der Luxusposition, dass ich Vormittags Zeit für mich/Haushalt habe, wenn Jakob im Kindergarten ist.
Und dennoch bin ich einfach nur platt. Am besten geht es mir, wenn ich verdränge. Aber sobald ich an Anouk erinnert werde, bricht alles wieder über mich ein. Ich mag schon gar nicht mehr mit Bini Videotelefonieren. Auch wenn ich mich immer so freue, tut es mir dann auch immer so unfassbar weh.
Aushalten. Einfach nur Aushalten.
Wie viel kann ein Mensch eigentlich ertragen?
Gefühlstechnisch fühle ich mich wie damals
Fallen.
Leere.
Sinnlosigkeit.
Sa, 28.01.23
Seit gestern ist Anouk wieder zu Hause. Es geht ihr viel besser. Sie isst wieder etwas mehr, trinkt wieder Milch und ist gut drauf. Es ist so schön, sie so zu sehen. Ich versuche sie etwas aufzupäppeln, damit sie die nächste "nicht essen/trinken können" Phase gut übersteht. Sie ist so dünn geworden. Ich bin so froh, dass wir alle wieder beisammen sind, weiß aber auch, dass wir spätestens am Mittwoch wieder getrennt werden. Der dritte Chemoblock steht an. Ich hab Angst vor der Zeit, nach der Chemo. Wenn es ihr wieder schlecht geht, wenn sie in die Klinik muss, wenn sie wieder transfusionen braucht. Aber es hilft alles nichts. Es gibt keine andere Option.
Mein starkes strahlendes Mädchen ist der Wahnsinn. Sobald sie keine Schmerzen hat, ist sie wieder komplett der Sonnenschein, den wir kennen. Sie winkt allen zu, sagt immer ganz ausgedehnt "Hi" und hat eine riesen Gaudi, wenn ihr Bruder ihr Aufmerksamkeit schenkt oder sie Gino streichelt. Oder mit ihrem Plüschhund kuschelt. Meine kleine Babymaus. Ich will endlich Ruhe, verlässliches Beisammensein..aber bis dahin wird es noch sehr lange dauern.
9 Chemoblöcke, mindestens 1 Bestrahlung und dann geht's in die Erhaltungstherapie mit 8 Chemoeinheiten.
Und immer die Angst: kommt der Tumor wieder?
Frustfuttern ist mein neues /altes Hobby. Wenigstens stopft es kurzzeitig die innere Leere.
So, 29.01.23
Faschingsball. Ohne Bini, ohne Anouk. Sie hätte eine riesen Gaudi gehabt.
Jakob hat sich auf mir verkrümelt und ist nur fürs Gutti-Werfen etwas aufgetaut und hat im hintersten Eck vom Veranstaltungsort "Breakdance" getanzt. Überall scheinbar glückliche Familien.
Mamas und Papas, Geschwisterkinder in Anouks Alter. Gesunde Kinder. Es tut mir weh, zu sehen, wie kleine süße Mädchen zur Musik wackeln und ich denke, dass das Anouk sein könnte.
Ich hab nichts davon, wenn es anderen schlecht geht. Ich sollte mich für sie freuen. Dennoch tut es mir so weh, glückliche Familien zu sehen. Mit gesunden Kindern. In einer heilen Welt.
Meine ist kaputt.
Di, 31.01.23
Heute Tagesklinik. Anouk verzaubert wieder alle. Ihre Blutwerte sind leider zu schlecht für die morgige Chemo. Sie hat eine leichte Schnupfennase. Wahrscheinlich von Jakob angesteckt. Er ist erkältet. Seit unserem Ausflug zum Faschingsball. Ich bereue den Faschingsball. Jakob hatte sich so gefreut, aber kaum waren wir da, wollte er wieder heim. Wenn ich auf ihn gehört hätte, hätte er sich nicht angesteckt und sie sich dann auch nicht…
Hätte hätte…
Immerhin kann ich so den morgigen Termin bei der Kinderpsychologin selbst wahrnehmen. Jakob ist stiller im Kindergarten geworden. Und ich will agieren, bevor es zum Problem wird.
Ich will so viel wissen..
Wie viel darf/ soll ich ihn mit einbeziehen?
Wie viel Leid/ Sorgen darf er mitbekommen, ohne dass ich meine Gefühle verleugnen muss? Wie kann so ein kleiner Junge mit etwas umgehen, mit dem wir Erwachsenen kaum umzugehen wissen?
Wir lesen viel über Krebs und Chemoritter und Drachenmedizin. Und über den Haarverlust. Gestern meinte Jakob: "Schau, ihre Haare wachsen schon wieder". Sie sind immer noch am Ausfallen, aber mir gefällt die Art, wie er die Welt sieht.
Do, 02.02.23
Psychologentermin mit Jakob, anschließend mit Anouk in die OTK. Ihre Werte sind am steigen, aber noch nicht gut genug um eine Chemo starten zu können. Ehrlich Gesagt bin ich erleichtert um den Aufschub. Ich wollte nicht übers Wochenende in der Klinik sein. Neuer Plan: kommenden Montag nochmal Kontrolle OTK und wenn alles passt, startet Dienstag die dritte Chemo.
Heute war eine Mama mit ihrer Tochter in der OTK und erzählte, dass endlich die letzte Chemo geschafft ist. Ich beneide sie. Ich möchte auch ein positives Ende in Sicht haben.
So, 05.02.23
Manchmal komme ich mir normal vor. Normale Geschwisterstreitigkeiten. Normale Erziehungsthemen.
Und dann sitze ich gestern mit Jakob in der Stadtbücherei in der "Vorlesestunde" und kann es nicht genießen. Anouk fehlt. Viele Geschwisterkinder.
Ich kann mir auch keine "alten" Bilder mehr ansehen. Es gibt definitiv ein "davor" und ein "danach". Wenn ich mir Fotos von ihrem ersten Geburtstag ansehe…wie weit war das alles weg.
Ich fühle mich der schönen Zeit mit meiner Familie beraubt. Ich will daran glauben, dass es wieder kommt. Aber wir leben jetzt. Jede Minute im Krankenhaus, jede Minute voller Schmerz und Sorge ist eine zu viel. Vielleicht muss ich es mir erlauben, trotzdem glücklich zu sein. Der Tod schwebt so oder so ja immer über uns.
Kann nicht schlafen vor Gedanken. Bin ich eine gute Mutter?
Ich will am liebsten beide Mäuse in meinen Armen halten und nie mehr loslassen. Ich habe Angst vor nächster Woche. Vor dem Krankenhaus, der Trennung, den Sorgen/Schmerzen,...
Ich weiß nicht, wo und wie ich Kraft tanken kann. Ich weiß nur, dass ich muss.
Mo, 06.02.23
Maus gehts gut, aber Leukos sind wieder gefallen. Morgen keine Chemo. Die Ärzte entscheiden später, wie es weitergeht. Eventuell Ende dieser Woche?
Ich stelle viele Fragen, die mir aus dem Stegreif noch nicht beantwortet werden können. Zu selten ist dieser Tumor. Sind die Tumorzellen alle undifferenziert? Also gleich oder ist es eher eine heterogene Masse?
Sind es dann auch Tumorstammzellen oder besitzen ihre undifferenzierten Zellen die Fähigkeit sich zu differenzieren und woanders Tumore auszulösen? --> Gefährlichkeitsgrad?
Ich will alles wissen, obgleich es irrelevant ist. Anouk hat Krebs und damit muss ich mich abfinden.
Do, 09.02.23
Werte steigen langsam wieder an. Ab Montag Chemo. Sonntag PCR Test auftreiben.
Dienstag MRT.
Es tat gut, mit der Frau vom Sozialdienst zu reden. Wir brauchen Hilfe. Ich funktioniere aber spüre nichts mehr. Diese Leere. Diese fehlende Lebensfreude.
Ich muss mich mehr um mich kümmern. Anouk schläft gerade im Auto. Mittagspause im McDrive. Versuch die Leere zu stopfen. Ich bin satt aber immer noch leer.
Während der Chemo wird Maus nicht wachsen. Sie wird es aber größtenteils wieder nachholen. Das ist gefühlt ewig bis dahin.
Termin für das nächste Pet CT ist auch schon ausgemacht. 3. März. Danach wissen wir mehr bezüglich ihrer Heilungschancen/ Rückfalquoten etc.
Ab Montag bin ich stationär mit Anouk zur Chemo und ich habe Angst. Angst, dass ohne mich alles zu Hause auseinanderbricht. Dass Jakob leidet. Mittwoch hat er wieder einen Psychologentermin.
Mittwoch Abend wollte ich eigentlich in die Fight Academy. Einzelstunde im Boxen. Das wird mir hoffentlich gut tun. Naja, dann muss es eben verschoben werden. Nur bis wohin?
Ich habe tausend Gedanken im Kopf.
Mo, 13.02.23
Erster Chemotag des dritten Blocks geschafft. Sie wirkt etwas schläfrig/ müde während den Infusionen. Danach dreht sie auf.
Es war schwierig, sie insgesamt 6h an den Kabeln mit einem Bewegungsradius von 1,5 m zu bespaßen. Morgen und Mittwoch das gleiche Spiel.
MRT für morgen wurde abgesagt, weil es keinen Sinn macht das während der laufenden Chemo zu machen. Ich bin etwas verwirrt, weil ich das Thema telefonisch angesprochen hatte. Da hieß es "wir machen es trotzdem". Müsste mir mal merken, wer mir die Infos gibt, damit ich dementsprechend nachhaken kann. Es sind nur so viele Menschen, mit denen ich Kontakt habe…
Es tut gut bei Maus zu sein. Ich bin froh, mit ihr gemeinsam kämpfen zu können. Etwas "tun" zu können gegen dem Feind Krebs. Sei es nur alle halbe Stunde zu wickeln, weil sie durch die Chemo soviel Flüssigkeit bekommt.
Heute soll der Tag schön gewesen sein. Hier war es grau. Blick auf das nächste Klinikgebäude.
Bei Anouk wurden Abstriche gemacht. Am Po wegen dem Krankenhauskeim und dann noch an der Leiste und unter ihrem Arm. Keine Ahnung wieso. Ich hoffe, dass ich morgen bei der Visite alle Fragen loswerden kann, die mir in der OTK nicht beantwortet werden konnten.
Jakob fehlt mir. Er dachte, dass ich abends wieder zu Hause bin. Ich hoffe, es läuft alles nach Plan und wir können Donnerstag Abend bzw. Freitag morgen wieder zu Hause sein. Dann kuschel ich mit meinem Großen und lass auch ihn nie wieder los.
Di, 14.02.23
Zweiter Chemotag geschafft. Ich auch.
Fragen konnten mir beantwortet werden:
Undifferenziertes Sarkom ist bei Anouk wahrscheinlich trotzdem eine homogene Tumormasse, nur sie haben keinerlei Ursprungszelle gefunden, von dem der Tumor ausgeht. Daher undifferenziert. Und deswegen auch so bösartig. Deswegen auch schon metastasiert und deswegen muss sie das härteste Chemoprotokoll für Sarkome erhalten.
Weil der Tumor nicht gut zu operieren ist, muss parallel zur Chemo (ca. ab dem 5. Block) die Bestrahlung geplant werden. Bestrahlung läuft täglich von Montag bis Freitag jeweils nur ca. 2 Minuten. Dafür muss sie jedes Mal sediert werden.
Das ganze wird sich 4-6 Wochen ziehen. Es kann sein, dass Photonen zu stark für Anouk sind, dass man eher Protonenbestrahlung einsetzt. Das entscheidet die Studienleitung für Sarkome. Für Kinder gibt es nur zwei Möglichkeiten zur Protonenbestrahlung in Deutschland. Essen oder Heidelberg.
Mit "Glück" wirds Heidelberg und man könnte dort parallel Chemo machen. Wenn da aber kein freier Platz ist, kann es sein, dass wir für 4-6 Wochen von Mo-Fr in Essen/Heidelberg zur Bestrahlung sind und Freitag Freitagabend dann zur Chemo in der Haunerschen einchecken dürfen. Bis Montag früh. Und dann geht's wieder zur Strahlentherapie. Mein erster Gedanke: Und meine Familie?
Man müsse sich keine Sorgen wegen der Bestrahlung machen, da diese kaum Streuung hat. Meine Sorge war, dass da wichtige Hirnareale auch mit bestrahlt werden. Problematisch ist wohl eher die Lage im Gesicht. Bestrahlte Knochen wachsen langsamer. Das könnte in Anouks Gesicht zu einer Asymmetrie/ Entstellung kommen. Daher muss man noch überlegen, ob man nicht beide Seiten gleich bestrahlt, dass die Knochen wenigstens symmetrisch weniger wachsen.
Mir ist schlecht. Es ist grausam, was hier abläuft.
Mi, 15.02.23
Ein gutes hat es: ich habe viel Zeit mit Anouk und lerne sie immer besser kennen. Ohne Druck parallel Haushalt machen zu müssen. Ohne den Blick auf die Uhr..ohne die Sorge, dass Jakob eifersüchtig wird oder zeitgleich meine Aufmerksamkeit fordert. Jakob malte wenig und mit Wasserfarben konnte er lange gar nichts anfangen. Ich bin irgendwie davon ausgegangen, dass es bei ihr auch so ist und habe ihr gar nicht erst Wasserfarben angeboten. Heute in der Klinik hat sie 3 Bilder mit Wasserfarben und Pinsel gemalt, 1,5 h lang. Ganz konzentriert! Wie unterschiedlich meine Kinder sind. Auch wenn gewisse Dinge durch Jakob geebnet wurden, möchte ich in Zukunft auch mehr auf sie eingehen. Nur weil Jakob etwas als Kleinkind nicht mochte, heißt es nicht, dass ich es nicht auch mit ihr probieren sollte.
Sobald der Hicki raus ist, gehe ich mit ihr zum Babyschwimmen. Da hat sie sicher Freude.
Fr, 17.02.23
Sind seit gestern Abend wieder zu Hause. Kaum bin ich da, fängt Jakob wieder das Streit mit Papa an. Dabei lief deren Männerwoche super. Keine Ahnung was da los ist. Ich vermittle zwischen den Fronten, tröste den einen, während der andere eifersüchtig versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und umgekehrt. Jakob weint, Anouk schreit..wunderbar.
Sie ist heute sehr knatschig drauf. Mittags hat sie noch gut gegessen und danach ging es bergab. Nix essen wollen, Übelkeit,.. nicht mal ein Keks von Gusti wollte sie haben.
Sie schreit im Schlaf immer wieder laut auf. Sie erfreut sich so am "an der Hand" gehen, aber man merkt, dass es ihr irgendwann Schmerzen bereitet. Wir geben ihr alles, was wir haben. Die ganze Batterie an Medikamenten, die wir vom Krankenhaus haben.
Zusätzlich gebe ich ihr jetzt auch ein paar Globulis, damit sie vllt. nicht ganz so infektanfällig ist.
Seit 2 Nächten ist sie auch mitten in der Nacht hellwach und brabbelt und will spielen. Ich erinnere mich dunkel daran, dass Jakob auch mal so eine Phase hatte. Allerdings ist Anouk so temperamentvoll, dass sie gleich einen Wutanfall bekommt, wenn man ihr die Spielsachen wegnimmt "weil Schlafenszeit!".
Am Mittwoch hat sie sogar so einen dollen Wutanfall bekommen, dass der Arzt gekommen ist. Ohne, dass ich nach ihm geklingelt hätte. Maus ist laut.
Wenigstens habe ich immer noch Humor.
Anouk knabbert die Stempelkissen ihrer Stempel ab. Erster Gedanke: Mist, nicht, dass das Zeugs krebserregend ist.
Zweiter Gedanke: Achso..Ja dann.
So, 19.02.23
03:54 Uhr. Fläschchen, wickeln und jetzt bin ich hellwach und google nach irgendwelchen Erfahrungsberichten zum undifferenzierten Sarkom. Vllt ist es gut, dass ich nichts dazu finde. Es würde an der Situation eh nichts ändern. Es fällt mir schwer, die Behandlung Arztsache sein zu lassen
Es tut weh, dass das Leben weitergeht. Kinder werden geboren, Babys werden zu Kleinkinder, Kleinkinder zu Kindern.
Auch Anouk entwickelt sich weiter, aber irgendwie kann ich mich so darauf einlassen. Bei Jakob hab ich jeden Entwicklungsschritt mit viel Freude und Faszination verfolgt. Was können wir als nächstes zusammen machen mit seinen neuen Fähigkeiten?
Seit der Diagnose steht für mich die Zeit still. Die Kinder entwickeln sich trotzdem, nur bin ich nicht mehr Teil davon. Anouk hat gerade das absolut drolligste Alter und ich kann es nicht genießen. Es fühlt sich an, als ob mir die Zeit mit meinen Kindern genommen wird (die sowieso so kurz ist).
Seit Geburt von Jakob bzw. Anouk schreibe ich mir Anekdoten, gewisse Eigenheiten aber auch Routinen auf, die ich nicht vergessen möchte. Ich bin mit dem Schreiben kaum hinterhergekommen.
Seit Dezember 22 kann ich nichts mehr schreiben. Es tut weh. Bilder anzusehen vor Dezember 22 tut weh.
Es tut gut hier zu schreiben. Die Gedanken müssen aus meinem Kopf raus. Sonst werd ich noch gänzlich verrückt.
Wenigstens verschafft mir mein neues/ altes Antidepressivum die Energie wieder aufzustehen. Jeden verdammten Tag. Ich muss funktionieren, es gibt keine Alternative. Selbstfürsorge war nie wichtiger als jetzt. War gestern mit Gino alleine Gassi. Beide Kinder haben zum "Abschied" geweint. Jakob ist mir mit seinen Hausschuhen sogar noch ein Stück hinterhergelaufen. Es ist alles so anstrengend.
Do, 23.02.23
Jakob hat uns die ganze Nacht angehustet. Er ist soweit fit, aber ich lass ihn lieber zu Hause. Ich weiß, ich sollte nicht sauer sein. Aber ich bin genervt, dass er wieder irgendwas abgeschleppt hat. Ich bin genervt, dass Anouk deswegen auch ständig aufgeweckt wurde. Ich bin genervt, dass sie heute so knatschig ist und ich merke, dass sie krank wird. 37,9 Grad. Ich packe vorsichtshalber unsere Kliniktaschen ins Auto. Heute ist wieder Kontrolle in der OTK, aber ich rechne schon fast mit einer Aufnahme.
Lustigerweise ruft mich gerade, während ich das hier schreibe, eine Schwester von der Haunerschen an. "Kann das MRT stattfinden? Für die Narkose muss sie 14 Tage Fieber und Infektfrei sein. Ist sie denn soweit gesund?"
Ähm. Im Moment schon.
Ich versuche, mich etwas rauszuwinden. Noch haben wir Chancen.
Wir durften wieder heim. Dafür dürfen wir morgen außerplanmäßig 4h in der OTK bleiben. Bluttransfusion über 3h und eine Stunde zur Beobachtung. Hb zu niedrig.
Leukos unverändert.
Mo, 27.02.23
Dritter Chemoblock geschafft! Heute war die letzte Spritze Vincristin aus dem dritten Zyklus.
Es hat gefühlt Ewigkeiten gedauert, bis die Anästhesie- Aufklärung stattfinden konnte.
Ab 17 Uhr erfahren wir, wann Anouk morgen ins MRT kommt.
Leukos sind jetzt bei 600! Freue mich sehr, dass es bergauf geht. Vllt kann nächste Woche ja schon der vierte Chemoblock stattfinden. Dafür braucht sie mind. 2000 Leukos und davon mind. 500 Granulozyten. Mal sehen.
Anouk hat eine neue Leidenschaft: Stickern.
Na dann weiß ich schon was ich in die Kliniktasche einpacke.
Di, 28.02.23
Ewiges warten, ewiges Labyrinth im Innenstadtklinikum.
Sie ist in meinen Armen eingeschlafen. Dieser plötzlich so schlappe Körper hat mich irgendwie sehr traurig gemacht.
Hab viel zu lange nach einem Café gesucht. Tee und Butterbreze später geht's schon wieder zurück. 45 Minuten. Ich wollte die Zeit nutzen, um zu lesen oder zu telefonieren. Stattdessen starre ich nur vor mich hin.
Ich bin nervös und möchte rechtzeitig wieder bei ihr sein. Zurück zur OTK wird sie mit dem Krankenwagen gefahren. Ich möchte an ihrer Seite sein, sobald es geht.
Mi, 01.03.23
Ergebnis MRT: Der Tumor ist so klein, dass man ihn eigentlich gar nicht mehr abgrenzen kann!! Man sieht nur noch am Knochen, dass da mal was war!!!
Die Ärzte freuen sich riesig. Ich mich auch!!!!!!!
Do, 02.02.23
Leukos bei 1000, Granulos bei 500! Die Zellen erholen sich gut.
Nochmal das MRT durchgesprochen:
Auch die Ärzte reden davon, wie krass das Ergebnis ist. Wie schön dieser Satz im Befund steht: "weitgehend vollständige Regredienz" :-)
Es steht sogar im Raum, eventuell doch keine Bestrahlung machen zu müssen. Das entscheidet dann die Studienleitung. Nach nur einer halben Stunde in der OTK dürfen wir wieder heim.
Morgen ist PET-CT in Vollnarkose. Tumore können trotzdem unter Chemo noch Metastasieren. Also wieder Daumen drücken, dass es nirgendwo leuchtet. Ergebnis vom PET-CT dauert allerdings länger. Eventuell nächste Woche Mittwoch, wenn wir wieder stationär für den 4. Chemoblock sind.
Fr, 03.03.23
Halb 2, Anouk schläft und liegt im CT. Der radioaktive Zucker wurde in nem Metallköfferchen ins Arztzimmer gebracht und die Spritze steckte in ner Bleikartusche. Irgendwie gruselig.
Trotzdem ist die Strahlenbelastung durchs CT höher.
Ich dachte immer, dass Anästhesisten (und Radiologen) zu den eher "Patientenunfreundlichsten" Ärzten zählen. Warum sollte man sonst nur mit schlafenden Patienten zu tun haben wollen?
Irgendwie bestätigt sich das gar nicht. Die Anästhesisten sind mit Abstand die liebsten Ärzte. Sowohl in Garmisch, in Großhadern, in der Haunerschen sowie jetzt auch im Innenstadtklinikum. Wieder ein Vorurteil weniger.
Mo, 06.03.23
Leukos bei 1500, Granulos bei 800. Ich muss bis Nachmittag warten, bis der Oberarzt die Entscheidung getroffen hat, ob Anouk morgen die 4. Chemo starten kann.
Ergebnis vom PET-CT: Die Metastase ist nicht mehr abgrenzbar und damit eigentlich weg.
Im Gesicht ist noch eine leichte Stoffwechselaktivität zu sehen, die aber deutlich zurückgegangen ist. Keine weiteren Metastasen zu sehen!
Ich hab mal wieder zu viele Fragen gestellt, die mir nur die Oberärzte auf der Station beantworten können.
Mein Gefühl sagt mir, dass ich ihre Biopsie noch an einen anderen Pathologen schicken sollte. Mal sehen, wie ich das bewerkstelligen kann. Ich habe ziemlich Angst vor den Folgen der ganzen Strahlungsbelastung. Nicht nur, was die Bestrahlung im Gesicht anbelangt, sondern auch die ganzen bildgebenden Verfahren mit CT. Außerdem könnte man ja seltene Krankheiten übersehen, die vllt. die eigentliche Ursache für den Tumor sind. Vllt ist es ja doch kein Krebs?
Gründe die mich nachforschen lassen:
-Symmetrie des Tumors (sehr untypisch für Krebs)
-Stoffwechselaktivität beim ersten PET-CT deutlich geringer als erwartet. Selbst im Bericht steht, dass es untypisch für Sarkome ist.
-Metastase wurde als Metastase gewertet, weil "war da, hat zwar nicht geleuchtet, ist aber jetzt wieder weg"
-undifferenziertes Sarkom: früher waren 50% der Sarkome undifferenziert, weil man nicht wusste, wo man sie einordnen sollte. Durch die ganzen Analysemöglichkeiten kann man jetzt fast alle Sarkome genau bestimmen. Nur noch 2% der Sarkome sind undifferenziert → nicht eindeutig zuzuordnen. Anouks Sarkom fällt in diese Kategorie.
Im Gespräch mit der Ärztin kam dann immer ein "Ja, alles seltsam, aber die Biopsie diagnostiziert Sarkom". Zwar haben schon zwei Pathologen draufgeschaut (darunter auch diese Koryphäe für Sarkome), aber vllt sollte ich noch einen dritten beauftragen.
Die Autobahn war gerade in der Gegenrichtung abgesperrt.
Hab die Beine und Füße einer toten Frau gesehen. Strumpfhose, schwarze Lederstiefel. Alles andere war glücklicherweise unter einer Wolldecke versteckt. Einfach nur gruselig. Ich hab später nachgelesen: Suizid. Sie ist vor einen LKW gesprungen.
Ich brauche echt mal eine Pause und ganz viel Unbeschwertheit.
Morgen geht's auf zur 4ten Chemo. Keine Lust, aber es hilft ja nix.
Di, 07.03.23
Kurze Aufregung, weil Anouks Katheter einen Zentimeter rausgerutscht ist. Arzt/Oberarzt/Chirurg später wird kein weiteres Röntgenbild angefertigt und auch kein erneutes Vernähen stattfinden. Sonst hätte sie wieder sediert werden müssen.
Solange die Muffe drin ist, ist alles gut.
Ich hatte Glück, dass heute Chefarztvisite war. Hab mit Prof. F. alle meine Bedenken durchgesprochen.
Ich habe jetzt auch den Pathologenbefund bekommen: es ist definitiv Krebs, es ist definitiv ein Sarkom. Nur die genaue Einteilung klappt nicht. Alles andere gilt als gesichert.
Wie überall: es gibt kein schwarz/weiß. Ich bin froh, dass mir alles genau erklärt wurde. Auch wie die Befunde und die Chemos gegen menschliches Versagen abgesichert werden.
Anouk hat den Professor "Papa" genannt.
Sind wegen dem Krankenhauskeim vorerst wieder in Isolation. Dabei waren wir letztes Mal auch nicht isoliert. Das versteht keiner so ganz. Mal sehen, wie die nächsten Tage hier vergehen…
2x Bolus. Jetzt fehlt noch die Chemoinfusion. Erster Chemotag und Anouk macht gerade Mittagsschlaf.
Erster Chemotag geschafft. Anouk ist schlecht und isst daher wieder so gut wie nichts. Sie ist auch sonst einfach sehr weinerlich. Sie wollte heute im Zimmer wenigstens etwas spazieren gehen. Nach 2 Schritten ist sie weinend auf den Boden gefallen. Meine arme Maus.
Sobald Vomex wirkt, dreht sie wieder auf.
Aber man merkt immer so 1-2 Stunden vor der Infusion, dass es steil bergab geht.
Gestern ist sie das erste Mal frei gelaufen. Jetzt hängt sie wieder an Kabeln und kann ihrem natürlichen Drang nicht nachgehen. Das macht mich wütend. Und es frustriert mich. Sie wollte vorhin im Bett versuchen zu laufen. Ständig hat sie sich in den Kabeln verheddert und ich wurde immer genervter, weil ich Angst hatte, dass sie ihren Katheter noch weiter rauszieht. Sie lacht und strahlt wenn sie frei steht. So eine stolze kleine Maus. Ich liebe sie so sehr.
Jakob fehlt mir. Man darf Mamas nicht von ihren Kindern trennen. Das ist einfach widernatürlich. Aber es hilft ja nix. Weitermachen.
Mi, 08.03.23
Zweiter Chemotag geschafft. In der Früh hatte Anouk noch richtig Hunger, aber seitdem wollte sie weder essen noch trinken. Ihre Schleimhäute sind wieder am Po eingerissen und es tut mir so Leid zu sehen, wie sehr sie das quält. Kann man nix machen außer gut zu pflegen.
Ich hab jetzt den Aufklärungsbogen für die Genuntersuchung bekommen. Es kann dabei helfen, so seltene Krankheiten vllt. doch an genetischen Markern ausfindig zu machen. Meist kommt aber auch gar nichts raus.
Ich rede viel mit Dr. P. Dabei fällt auf, dass ich ein absoluter Kontrollfreak bin und damit nicht klarkomme, dass man sehr, sehr wenig über Anouks Tumor weiß. Ich rede über komplette Genotypisierung und Gentherapie. Es muss doch einen Grund geben. Dieses "Nicht Wissen" passt nicht in mein Weltbild. Er stellt die richtigen Fragen: "Selbst wenn Sie ein Gen finden, würden Sie Ihrer Tochter eine Gentherapie unterziehen, die bestenfalls nur an älteren Menschen und anderen Entitäten getestet worden ist?" Ich denke über die Tierversuche im Helmholtz Zentrum nach und überlege, wen ich da kontaktieren könnte. Aber das bringt auch nichts.
Ich möchte was tun, aber das einzige was ich machen kann, ist für Anouk da zu sein. Sie Ablenken, trösten, ihren Frust aushalten und nach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen für sie treffen. Ich muss die Verantwortung für ihre Genesung in fremde Hände geben und vertrauen. Das fällt mir sehr schwer.
"Sie sollten das nicht mit sich alleine ausmachen". Aber wer kann mich denn bitte verstehen? Doch nur Eltern mit einem krebskranken Kind, das einen seltenen Tumor hat. Ich komme ja nichtmal mit den Eltern richtig in Kontakt, weil ich nur zur Küche und wieder zurück renne. Anouk wartet ja dann im Zimmer im Hochstuhl.
Ich lasse die Tür immer auf, und sie ruft über den ganzen Flur "Maaaammmaaaa".
Essen holen, Getränke holen und zurück. Und immer dieses Verkitteln.
Ich hätte heute fast einen Ausraster bekommen, weil Anouks Überwachung ständig Alarm geschlagen hat. Mal kein Signal, mal hat sie zu viel rumgehampelt..Mal hat sie sich auf ein Kabel gesetzt. Was bringt mir eine Überwachung, die mir nicht hilft sondern im Gegenteil meine Nerven strapaziert. Ich verstehe ja, dass es wichtig ist, wenn sie schläft. Meinetwegen auch wenn die Chemo läuft. Aber bei der Nachwässerung? Wenn sie wach ist und durchs Bett tobt?
Es gibt genau eine Schwester, die ich nicht leiden kann und genau die kam natürlich dann zu mir.
Sie pampt mich auch an, dass ich weniger Zug auf Anouks Katheter geben muss.
Ach nee?! Ich versuche mein Bestes aber mein Kind bewegt sich nunmal.
Danach muss ich erstmal weinen.
Es stürmt draußen und die alten Fenster vom Krankenhaus klappern und Luft zieht durch. Irgendwie ist das gemütlich. Mal sehen, ob ich diese Nacht besser schlafen kann.
Do, 09.03.23
Letzter Chemobeutel für diesen Zyklus ist angehängt. Anouk schläft gottseidank. Die Nacht war wieder sehr unruhig. Sie isst nichts, will nichts trinken und zeigt immer auf den Buggy und die Tür. Sie will raus.
Ich parke sie mal wieder vorm Tablet. Anders kann ich sie in Isolation nicht mehr bespaßen bzw. Ich hab dafür keine Kraft mehr. Es ist ein scheiß Gefühl, wenn sie jetzt schon weint wenn ich das Tablet wegpacke. So eine Diskussion wollte ich nie führen. Zumindest nicht bis sie in der Schule ist…" Ausnahmesituation. Es ist eine Ausnahmesituation."
Mein neues Mantra.
Heute habe ich mit Frau B. gesprochen. Sie wollte damals erst eine Einschätzung über die Heilungschancen/ Rückfallquoten geben, wenn sie das Ansprechen sieht.
Das ist mir heute wieder eingefallen. Von alleine hätte sie mir diese schöne Nachricht wahrscheinlich nicht mitgeteilt:
Sie gehen davon aus, dass sie vollständig gesund wird! Das Gute Ansprechen UND (was ich bis dato nicht wusste) die genetischen Hochrisikofaktoren, die gescannt worden sind, sind alle negativ.
Bei einigen Faktoren weiß man, dass diese eine sehr hohe Rezidivwahrscheinlichkeit haben. Bei ihr sind alle Faktoren negativ!
Die Angst vor einem Rezidiv kann uns niemand nehmen. Offiziell gilt sie nach 5 Jahren Krebsfreiheit geheilt. Aber wahrscheinlich wird diese Angst, sie zu verlieren, ein Leben lang bleiben.
Die nächsten 2-3 Wochen wird Anouk im Tumorboard besprochen, ob sie eine Bestrahlung noch für nötig erachten. Darunter sitzt auch eine Strahlentherapeutin, die sehr viel Ahnung von den Risiken hat und auch die "Kinder" 20 Jahre nach Bestrahlung noch sieht. Die Ärzte hier können mir nicht sagen, ob man es ihr später ansieht, dass die Knochen weniger gewachsen sind. Einen Teil des Wachstums holen die bestrahlten Knochen auf, aber ihre vollständige Größe werden sie nicht mehr erreichen.
Es wurde mir glaubhaft versichert, dass sie sich die Entscheidung über die Bestrahlung nicht einfach machen werden.
Es gibt in Heidelberg auch Unterkunftsmöglichkeiten für die ganze Familie. Ich möchte Jakobs Geburtstag nicht verpassen, falls es nötig ist.
Heute hatte Bini das Gespräch mit Jakobs Psychologin. Ich wäre theoretisch dabei gewesen. Praktisch ist just in dem Moment, als ich telefonisch zugeschaltet worden bin, ihre Windel übergegangen, der Hunger gekommen und vor allem der Frust über das Eingesperrtsein.
Es ärgert mich, dass ich nicht dabei sein konnte. Auch hier hätte ich wieder ganz viele Fragen stellen wollen.
Es ist frustrierend, sich immer für ein Kind "entscheiden" zu müssen.
Anouk hat so geschrien, dass ich nichts mehr verstanden habe und auflegen musste.
Falls die nächsten 2 Abstriche auf MRSA wieder negativ sind, dann werden wir entisoliert. Für diesen Aufenthalt bringt es uns nichts mehr. Scheinbar war es die letzten Male ein Versehen, dass wir frei rumlaufen dürfen… Isolation ist wie Knast , nur ohne Hofgang.
Immerhin kann ich hier vollverkittelt in die Küche mein Essen selber holen und die Fenster gehen richtig auf. Mir sitzt der Aufenthalt auf der Intern 5 über Silvester immer noch im Nacken.
Anouk und ich standen lange am Fenster und haben uns die parkenden Autos im Innenhof angesehen. Wenigstens ein bisschen "draußen" Gefühl.
Freu mich unendlich auf morgen Nachmittag/abend, wenn ich wieder Himmel über meinem Kopf habe und meine Familie wieder beisammen ist.
Fr, 10.03.23
Wieder eine unfassbar anstrengende Nacht. Ständig war etwas. Infusionsdruck zu hoch, EKG keine Analyse, Sättigung sinkt..und immer begleitet vom lauten Gepiepe und Gebimmel. Schnellstmöglich den Alarm ausschalten, damit Anouk nicht aufwacht und die Ursache finden. Denn sonst kommt der Erinnerungsalarm. Meist ist ein Kabel verrutscht oder sie liegt auf den Schläuchen oder macht im Schlaf ihren Hicki zu..
Nebenbei wieder Akkordwindelwechseln.
Wenigstens hat sie heute gefrühstückt UND sogar Mittag gegessen.
Sie bekommt nachher noch eine weitere Infusion mit irgendeinem Stoff, der Depotwirkung hat. Dann ist sie vllt. die nächsten Tage von der Übelkeit etwas verschont.
Im CT vom Dezember stand, dass Anouks Backenzahn um 90° gedreht ist. Konnte mir bis heute niemand sagen, was das bedeutet oder ob man da was machen muss. Ist ja nur ein Nebenbefund.
Jetzt hat endlich ein MKG Chirurg vorbeigeschaut und gemeint, dass das ganz viele Kinder haben und dass sich das verwächst. In 4 Monaten können wir das gerne nochmal kontrollieren.
Zu Hause. Badewanne. Keine Kabel. Ein frisch bezogenes Bett. Herrlich.
Jakob hustet. Hoffentlich wird er nicht wieder krank.
Sind auf einem guten Weg: ich mache mir Gedanken über die Arbeit. Scheinbar hat mein Hirn wieder etwas Kapazität für Gedanken an die Zukunft. Ich werte das mal als positiv.
Sa, 11.03.23
Anouk ist sehr weinerlich. Ab späten Nachmittag war sie untröstlich. Schmerzmittel gegeben, Medikament gegen Übelkeit,.. Trotzdem nur am Weinen. Ich kann nichts machen außer neben ihr zu sitzen. Streicheln macht sie wütend, Körperkontakt, singen,..das alles mag sie nicht. Ich sitze neben ihr und schaue ihr hilflos zu, wie sie sich in den Schlaf schreit. Ich wünschte, sie könnte sagen, was los ist.
So, 12.03.23
Sie schreit. Das nichts tun können ist Folter für mein Mama Herz. Wieder Schmerzmittel. Sie hat offensichtlich Bauchkrämpfe. Dazu kommt, dass sie sich reinsteigert. Bini ist mit ihr in ihr Zimmer gegangen. Damit wenigstens 2 von uns schlafen können. Jakob schläft. Ich nicht.
Mo, 13.03.23
4 Uhr morgens, Anouk hatte um halb 2 40 °C Fieber bekommen und ist heiser. Taxi war zu weit weg, daher bin ich mit dem Auto reingefahren. Wenigstens hab ich jetzt den Anwohnerparkausweis und muss mir ums Auto keine Gedanken machen. Den ganzen Sonntag über war sie knatschig und wollte nichts essen.
Sind jetzt wieder auf der Intern 3. Isolation.
Die Vögel zwitschern schon und ich bin hellwach. Hab für Jakob ein Video gemacht, weil er das Abschiedskuss verschlafen hat. Ich hoffe, dass er mein plötzliches "Verschwinden" gut verkraftet.
Weiterhin Isolation. Wieder irgendwas ansteckendes. Es nervt. Vormittags hat sie gegessen, Fieber war runter und sie war ok drauf. Aber seitdem wollte sie auch wieder nix essen und trinken.
Sie zeigt auf eine Banane im Buch. Gibt's hier gerade leider nicht. Nur Birnen. Sie lehnt alles ab.
Sie mag auch kein Fläschchen mehr.
Sie weint und jammert sich in den Schlaf. Ich fühle mich so hilflos. Wenn ich sie streicheln will, wird sie wütend. Mama versteht sie einfach nicht. Ich weine mit ihr.
Und meine Tränen fließen und fließen. Danach geht's mir etwas besser. Meine Nerven liegen blank. Das Warten. Das nichts tun. Das Schreien. Die Hilflosigkeit. Ich mag nicht mehr. Morgen versuche ich mal den Seelsorger herzubekommen. Oder die Frau vom Psychosozialdienst. Oder irgendwer, der ansatzweise verstehen kann, wie ich mich fühle. Ja, ich sollte mich freuen, dass es Chancen auf Heilung gibt. Dass die Chemo so super anschlägt. Aber mir geht die Kraft aus. Es ist so unfassbar anstrengend. Decke übern Kopf und nichts sehen und hören. Das wäre schön.
Do, 16.03.23
Seit Dienstag Abend daheim. Prof. F.: "Wenn Sie es sich zutrauen, dann dürfen Sie heim. Medizinisch spricht nichts dagegen.”
Ich weiß worauf er anspielt. Es ist so zum Verzweifeln, wenn Anouk so viel schreit.
Heute OTK, haben jetzt Tramadol verschrieben bekommen und ich hoffe, dass sie nicht mehr ganz so viel weinen muss. Innerhalb von 2 Tagen sind ihre Thrombozyten um 100.000 Zellen gesunken. Müssen daher unbedingt auf Blutungszeichen achten .
Sa, 18.03.23
Tramadol wirkt! Von Donnerstag auf Freitag hat sie durchgeschlafen und ich hatte seit langem sogar die Möglichkeit morgens duschen zu können.
Warum bin ich trotzdem heute seit halb 3 wach? Sie ist total heiser wegen ihrer Erkältung und ich hatte Angst, sie nicht zu hören. Mutterinstinkt. Sie wacht auf und ruft kaum hörbar nach mir. Weinen; Blähungen, Schmerzen. Neue Runde Tramadol. Jetzt liegt sie auf mir. Erhöht, damit der Husten sie nicht so quält. Ich weiß gar nicht, ob und was ich ihr gegen Husten geben darf.
Sie hat viele blaue Flecken an den Beinen. Gottseidank noch keine richtigen Blutungszeichen.
So, 19.03.23
Selbstfürsorge. Café Eberl in Bichl. Alleine, mit einem Buch. Auf der einen Eckbank hat Jakob seine erste Breze gegessen. Mir kommt das ewig weit weg vor.
Und auf einmal geht mir durch den Kopf: "Anouk hat Krebs". Die Angst sie zu verlieren wird plötzlich riesig. So viele Tränen, die ich nicht zurückhalten kann. Wie oft habe ich diesen Satz in den letzten Wochen gesagt. Wie nüchtern ich das erzählen konnte. Als ob es sich um jemand anderen handeln würde.
Es ist mein Baby, das so leidet. Ich will sie nicht verlieren. Ich will sie nicht zu Grabe tragen müssen. Es fühlt sich auf einmal so falsch an, hier zu sein. Meine Tochter hat Krebs und ich futtere Kuchen und lese ein Buch über Romy Schneider. Es ist absurd.
Frage mich gerade, wie ich zahlen kann, ohne dem Kellner in die Augen sehen zu müssen.
Anouk hat wieder Fieber bekommen. Bini fährt rein. Ich schaffe es nicht. Ich fühle mich so zerrissen. So viele Tränen. So viel Wut. Sie kann nicht einfach sagen "Das ist mir gerade zu viel, ich lass' mal jemanden anderen in die Klinik für mich fahren". Sie muss so viel aushalten, was mir als Erwachsener schon zu viel wird.
Mo, 20.03.23
Sie fehlen mir so. Ich hoffe, dass sie vllt. morgen oder am Mittwoch wieder heimdürfen. Jakob genießt die Zeit mit Mama. Rumblödeln. Eigentlich muss ich nur an jedes Wort "pups" dranhängen und er schmeißt sich weg vor Lachen. Sein Lachen ist Balsam für meine Seele. Also gebe ich beim Abendbrot den absoluten Clown und sinke jetzt völlig erschöpft auf die Couch. Es war gut, dass ich nicht in die Klinik bin. Ich habe Magenschmerzen. Hallo Psychosomatik.
Mi, 22.03.23
Gestern Abend sind Bini und Anouk wieder heimgekommen. Noch dabei eine super Nachricht: Anouk braucht keine Bestrahlung!! Jippieh, kein Heidelberg, kein Essen, keine tägliche Sedierung, kein Dauergetrenntsein von ca. 6 Wochen. Keine Sorgen über entstellte Gesichter, verbrannte Haut.
Dann kam die ganze Hintergrundinfo und ich hoffe inständig, dass ich heute einen Arzt an die Strippe bekomme, damit ich die tausend Fragezeichen geklärt bekomme.
Gegen Bestrahlung entschieden, weil sie ihr ganzes Gesicht und einen Teil des Brustkorbes hätten bestrahlen müssen. (Warum auch der Brustkorb? Und warum das ganze Gesicht? Und heißt das, dass es medizinisch nicht notwendig ist, oder dass das Risiko der Nebenwirkungen zu groß wäre?)
Es wäre ja ganz gut, weil man dann eine weitere Behandlungsoption hätte, wenn der Tumor wiederkommt.
(Wieso reden die jetzt doch von einem wahrscheinlichen Rezidiv?)
Die Studienleitung ist auch irritiert von der Symmetrie des Tumors (Ach nee?! Was sag ich denn die ganze Zeit?!) Und eventuell ist ihr Tumor eine große Metastase und der Primärtumor sitzt woanders? (Bitte was?!?!)
Die Idee hätten sie dann aber wieder verworfen, weil ja aufm CT nix anderes sichtbar war. (Warum erwähnt man das dann überhaupt ?)
Erhaltungschemo wird wahrscheinlich verändert. Frau B. weiß grad nicht, ob Anouk dann wieder in die Krippe kann (Diese Info ist aber entscheidend für die weitere Planung unseres Arbeits- und Familienlebens/ Finanziellen Situation etc.!!)
Emotionschaos.
Wenigstens geht's meinem Magen wieder besser und ich hoffe, mein Frühstück bleibt heute mal drin.
Gestern haben beide Kinder gestritten und geweint und ich habe als Reaktion darauf erst einmal kotzen müssen. Körper, Spiegel der Seele.
Do, 23.03.23
Anouk hat noch genau eine Wimper.
Mo, 27.03.23
Anouk schläft sehr viel und ist dauermüde. Mein kleiner Sonnenschein lacht kaum noch. Mag nichts essen. Kaum trinken. Ich mach mir große Sorgen. Diesmal konnte sie sich zwischen den Chemoblöcken nicht richtig erholen. Wenn morgen die Werte stimmen, "dürfen" wir Mittwoch wieder stationär für den nächsten Chemoblock. Dabei ist dieser sogar recht human, mit nur 2 Tagen Aufenthalt.
Wenigstens bekomme ich dann die Ärztin wieder zu Gesicht und kann meine Fragen klären. Das ist das einzig gute daran.
Di, 28.03.23
4000 Leukos. So gut waren ihre Werte seit langem nicht mehr. Coronatest und dann morgen auf Intern 3. Eigentlich.
Frau B. ruft am späten Nachmittag an, dass sie Personalmangel haben und daher unsere Chemo auf Samstag verschieben.
Wochenende im Krankenhaus. Da ist ja dann noch weniger geboten als eh schon. Mich nervt es sehr, dass unsere wertvolle Familienzeit am Wochenende zerstört wird.
Wenigstens hab ich mit ihr über meine Fragen reden können:
Sie hat einfach alles wiedergegeben, was im Tumorboard besprochen wurde. Ungefiltert. Darunter eben auch der Einwurf der Radiologin, dass der Primärtumor vllt woanders sitzt. Diese hat nur Anouks Gesichtsbilder gesehen und daher einfach mal nachgefragt. Da Anouks ganzer Körper mit Ct als auch PET-CT gescreent worden ist, kann man davon ausgehen, dass kein anderer Tumor vorhanden war/ ist.
Es gibt keinen Hinweis, dass der Tumor wiederkommt. Man weiß es leider nie, aber die Aussage "Falls er wiederkommt, können wir bestrahlen" ist pauschal zu bewerten.
Bestrahlung wäre im gesamten Gebiet um den Tumor und die Metastase. Also Kopf und Brust. Sie waren sich im Tumorboard schnell einig, dass die Nebenwirkungen zu groß gewesen wären, wenn man bestrahlt hätte. Da die Chemo so gut angesprochen hat, gehen sie davon aus, dass im restlichen Tumorgewebe keine aktiven Tumorzellen enthalten sind. Daher wäre eine Bestrahlung eher schädlich als hilfreich.
Bei der neuen Erhaltungstherapie werden andere Wirkstoffe eingesetzt. Anouk kann dann auch in die Krippe. Allerdings konnte sie mir nicht beantworten, wie oft wir dann in die Tagesklinik müssen. Bringt mir auch nichts, wenn sie in die Krippe dürfte, aber jeden Tag in die OTK müsste. Donnerstag ist wieder Kontrolle, da kann ich das gleich mal ansprechen.
Mich freut die Aussage über die nicht mehr aktiven Krebszellen. Nach dem Telefonat habe ich das Gefühl, dass wir es schaffen können. Erst mal nach Urlaub gegoogelt. Es tut gut, ein Gefühl von Zukunft zu haben.
01.04.23
Nicht isoliert, keine EKG Überwachung. Da ist es ja fast schon erträglich hier.
Dr. P. hat mir gesagt, dass die Mittel für Anouks Erhaltungschemo eher IV gegeben werden und man das eigentlich über den sicheren Port wie z.b. Hicki geben möchte.
D.h. kein Planschen im Sommer? Keine Krippe ab September? Ergo keinen Urlaub und keine Arbeit?!
Ich muss bis nächste Woche warten, wenn einer der Oberärzte wieder da ist. Da will man Pläne machen und dann werden sie wieder über den Haufen geworfen.
Ich traue mich ja nicht mal, Pläne für nächstes Jahr zu machen. Aber so für dieses Jahr wäre es schön zu wissen, wie das Leben ungefähr weitergeht. Wobei ich mich schon freue, dass es überhaupt weitergeht.
Halb 12. Beide Ohren messen. Fenster auf. Kopf kühlen. Es hilft nix, Anouk hat Fieber.
Es sah alles so gut aus. Kurzer Chemozyklus, Carboplatin schon frühzeitig bekommen, dass wir morgen nach 24h wässern auch früh heimkommen.
Zirkus mit Jakob. Ostereierfärben.
Mein Optimismus hat mich nach dem Minimalprinzip packen lassen. Nur eine Nacht. Nur eine Wechselunterhose. Prima.
Beim nächsten Mal packe ich wieder für ne Woche.
Falls wir morgen in Isolation müssen, flippe ich aus.
04.04.23
Seit gestern wieder zu Hause. Wir durften noch eine Nacht mit einer ukrainischen Familie im Zimmer verbringen. Das lief erstaunlicherweise gut. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sich die Kinder gegenseitig aufwecken.
Dafür haben wir Mamas gefühlt gar nicht geschlafen. Die Infusionsständer haben natürlich doppelt so oft Alarm geschlagen.
Der Grund für das Zusammenlegen unserer Zimmer war, dass ein Neuzugang kam. Wenn man das erste Mal auf der Onkologie ist, wird man auf jeden Fall in ein Einzelzimmer gesteckt. Ich erinnere mich, dass ich damals aus Verzweiflung meinen Schuh gegen die Tür geworfen habe. Da war ich auch dankbar, keine Zeugen meiner Gefühlsausbrüche zu haben.
Als ich dann gestern die Mutter des Neuzugangs im Aufzug sah, hat sie sich abgewandt und ist in Tränen ausgebrochen. Ihre Tränen, ihre Verzweiflung haben mich tief getroffen. Zum einen wurde ich wieder an den Anfang zurückgebeamt. Ist es wirklich schon über 4 Monate her, dass sich meine persönliche Hölle aufgetan hat?!
Zum anderen ist mir wieder bewusst geworden, dass Krebs tödlich sein kann. Dass Anouk Krebs hat. Dass Anouk sterben könnte. Ich hatte die Heimfahrt unter Tränen verbracht und war den Rest des Tages nicht ganz anwesend.
Heute durfte ich durch ein tolles Netzwerk aus der Arbeit mit einer Schwedin telefonieren. Ihre Tochter hat eine rare disease. Es gibt nach wie vor keine Diagnose dafür. Sie hatte auch das Gefühl, dass sie etwas ändern muss. Das Leben ist nicht mehr dasselbe wie vor der Krankheit.
Ihre Krankheitsgeschichte und alles drum herum haben mir Mut gemacht. Und mich sehr berührt. Ich wurde verstanden. Wirklich verstanden. Und nicht nur in Bezug auf Anouk, sondern auch in Bezug auf die Einstellung zum Leben und zur Arbeit. Und sie war auch essgestört und depressiv. Irgendwie hat es gut getan, zu merken, dass ich nicht der einzige Mensch auf dieser Welt bin, der mit so vielen Dingen schon kämpfen musste und immer wieder durchs Raster gefallen ist.
Ich weiß auf jeden Fall, daß ich aus der ganzen Scheiße etwas Gutes entstehen lassen kann. Und das werde ich.
06.04.23
Wieder nächtliches Schreien.. Tramadol sollte ja wegen Suchtgefahr ausgeschlichen werden. Seitdem wacht sie wieder nachts auf und schreit hysterisch. Anfassen, streicheln, ruhig mit ihr reden: alles nicht erlaubt. Ich wünschte, sie könnte reden. Hat sie Schmerzen? Ist sie frustriert? Halluziniert sie?
Jetzt liegt sie auf mir und schnarcht.
Wie zu erwarten sind die Blutwerte wieder am Abrauschen. Samstag wieder OTK. Je nach Blutwerten braucht Anouk dann wieder eine Erythrozytentransfusion.
Hab die Ärzte wieder angesprochen auf ihre Bauchschmerzen/ Schreianfälle. Langsam glaube ich, dass hier ganz viel nach dem Blackbox Prinzip gearbeitet wird: wir geben was in den Körper rein und dann kommt hoffentlich was gutes bei raus. Wir wissen, dass wir verdammt wenig wissen.
Die Oberärztin hat glücklicherweise meine Mail beantwortet: es ist wohl doch eine Tablettenchemo für 6-12 Monate. Mich macht das narrisch, dass ich ständig unterschiedliche Aussagen bekomme. Jetzt habe ich es wenigstens schriftlich. Also kann sie vllt. doch im September in die Krippe.
07.04.23
Ich hab die ganze Nacht bei Anouk verbracht. Sie hat nachts wieder so geschrien. Nach Saabsimplex, Novalgin und zwei Fruchtzwergen ging es langsam wieder. Dann wollte sie nur auf mir liegen und ich durfte meine Hand nicht von ihr bewegen.
Anouk ist gerade sehr anhänglich. Sie möchte nicht mal in ihrem Hochstuhl sitzen, sondern nur auf mir. Jakob tut mir leid, er wird ständig von mir vertröstet.
Heute nachmittag versuche ich so viel Exklusivzeit mit ihm zu verbringen.
08.04.23
Anouks Kontrolle wurde auf Dienstag verschoben. Das heißt, wir können heute das erste mal als Familie mit einer anderen lieben Familie Geburtstag feiern.
Ich bin gespannt, wie sich Anouk verhält. Sie hat ja kaum noch Interaktion mit anderen Kindern. Hoffe sie bekommt davon kein Fieber.
09.04.23
In der Normalität merkt man erst, wie unnormal alles bei uns ist. Ich schaue mir Fotos von Anouk als Baby an. Wie glücklich und sorglos wir waren. Ich bin wütend, dass uns diese Unbeschwertheit geraubt wurde. Ich bin traurig, dass ich dieses süße Mädchen nicht vor dem Krebs beschützen konnte. Ich will, dass sie sich endlich erholen kann. Keine Mukositis mehr. Familie sein.
Tagsüber bin ich gefühlt superwoman. Ich mache und tue. Stark sein.
Abends liege ich dann im Bett und weine mir den Mascara von den Augen.
Wenigstens geht so das Abschminken schneller.
10.04.23
Schreien. Es bricht mir jedes Mal das Herz. Saabsimplex, Novalgin. Kuscheln, meine Hand ganz fest an dich drücken. Im nächsten Moment schreist du auf und schiebst die eben umklammerte Hand wieder weg. Maus, ich wünschte, ich könnte dir helfen.
11.04.23
Fieber. Intern 3. Iso.
Jakob wollte nicht, dass ich gehe. Es tut so weh.
12.04.23
Hb war so niedrig, dass Anouk nachts noch ne Blutkonserve gebraucht hat. Wieder Schreianfall. Sind mit dem Problem des extremen Schreiens wohl nicht alleine. Das Kind im Nachbarzimmer hat das auch. Kann man da was machen?
Nein. Einfach nur Aushalten.
GCSF und jetzt warten auf die Thrombozyten. Das war der Deal, dass wir noch heute heim können. Jetzt ist es schon fast wieder Schlafzeit. Theoretisch könnte ich auch noch ne Nacht bleiben. Praktisch haben wir wieder einen Mitbewohner bekommen. Das Zimmer ist eh schon so klein. Ich möchte mich aber nicht beschweren. Der kleine Junge heißt auch Jakob, ist 4 Jahre alt und hat einen aggressiven Hirntumor ohne Hoffnung auf Heilung. Strahlentherapie, um ein paar Wochen dazugekommen.
Verrückt, aber ich bin gerade dankbar. Wir haben noch Hoffnung.
Da sieht man wieder: alles ist relativ. Unter den Gesunden sind wir die schwer kranken. Unter den schwer kranken kommen wir im Moment gerade gut weg.
15.04.23
Mitten in der Nacht. Wollte Anouk "kurz" ins Bett bringen und dann endlich Feierabend haben. Vllt 2h mit Bini verbringen. Kuscheln. Reden.
Anouk lässt mich nicht los. Sobald ich nur versuche, mich umzudrehen, wird protestiert.
Wir wurden heute in der otk isoliert, weil Anouk wahrscheinlich Herpes hat. Sie hat Bläschen an der Wange und teilweise ist die Haut offen. Meine erste Frage war direkt: Müssen wir bleiben? Ich habe nur noch Panik vor der stationären Aufnahme.
Wir durften wieder heim. Ein weiteres Medikament. Das macht ihr Bauchschmerzen. Kann auch Fieber auslösen. Na danke.
Unser letzter stationärer Aufenthalt gipfelte mit einem blöden Anpampen von Frau B. Ich hatte nachgefragt, warum wir nach der TK-Transfusion noch eine Stunde zur Beobachtung bleiben müssen.
"Sie müssten doch langsam wissen, wie es läuft". Sie hätte uns ja gar nicht gehen lassen. Ich sollte dankbar sein.
Keine Empathie. Ich fing vor ihr an zu weinen und traute mich nicht mal in mein Zimmer zurück. Ich wollte nicht vor Jakobs Mama weinen. Sie verliert ihr Kind. Ich nur meine Nerven.
Jetzt liege ich immer noch bei Anouk im Bett. Es war ein Kampf, dass ich mir wenigstens einen Pyjama anziehen durfte. Dafür musste ich sie nämlich kurz ablegen. Es ist alles so anstrengend. Sie weint so viel. Sie will meine Nähe und gleichzeitig stößt sie mich weg, weil ich ihr doch nicht helfen kann.
Ich bin nebenbei mal wieder krank und huste mir die Seele aus dem Leib. Klappt super, wenn sie auf mir liegt…
Suche Bilder für Ebay Kleinanzeigen. Scrolle mich durch die Fotos. Als meine Maus noch gesund war. Als sie krank wurde. Bei jedem Foto denke ich "hatte sie da schon Krebs?"
Es tut so weh, diese Bilder zu sehen. Es sind Bilder aus einem anderen Leben.
Heute war ich total entnervt von Anouk. Sie war den ganzen! Tag auf meinem Arm oder an der Hand. Ich hab rumgemault, dass sie mich nervt. Jetzt liege ich im Bett und es tut mir so Leid. Ich sollte jeden Moment genießen. Aber mir geht die Kraft aus. Ich will einfach nur noch eine Pause.
17.04.23
Heute hat Bini Anouk zur OTK begleitet. Ich schleppe mich zum Arzt: Pleuritis. Ich hab echt keinen Nerv für sowas.
Ergebnis vom Test auf Herpes ist immer noch nicht da.
Anouks Zellen steigen ganz langsam wieder. Ich bin gespannt, ob sie für kommenden Montag die Startwerte für die Chemo erreicht.
21.04.23
Halb 5. Zu viele Gedanken in meinem Kopf. Bini wird jetzt auch grad krank. Na toll. Wenigstens geht's bei mir langsam bergauf. Meine letzte Ibu ist schon 6h her und ich muss noch nicht nachlegen.
Ich bin nur noch am essen. Das einzige was mir hilft und gleichzeitig mich noch mehr Kraft kostet. Ich fühle mich so unwohl in meinem Körper.
22.04.23
Montag 4 Tage Chemo und ich weiß immer noch nicht ob ich oder Bini reingehen. Meine Kinder bedeuten mir alles und sich am Montag wieder verabschieden zu müssen, tut mir unfassbar weh. Egal ob ich in die Klinik gehe oder daheim bin. Ein Kind muss ich zurücklassen.
Heute waren wir das erste Mal seit der Diagnose essen. Das Wetter war schön und so konnten wir dem Infektionsrisiko entgehen und haben draußen gegessen. Was für ein bittersüßer Schmerz. Wir haben alle gemeinsam auf dem Spielplatz gespielt und sobald die Kellnerin kam, sind wir ganz schnell wieder an den Tisch gerannt. Es war wunderschön. Beide Kinder an meinen Händen. Einer rechts, die andere links.
Während andere Kinder um uns herum fangen gespielt haben, ist mir wieder bewusst geworden, wie "unnormal" unser Leben gerade verläuft. Wie sehr ich die gesunden Kinder und die gesunden Eltern beneide.
Anouk ist endlich wieder besser drauf. Sie will viel laufen. In ihrem Alter laufen schon alle. Aber kaum startet die nächste Chemo, wird alles wieder anders. Ihr wird es schlecht gehen. Sie will dann nicht mehr laufen..Infekt, Fieber, Schmerzen, Weinen...und wenn ich sie endlich einigermaßen aufgepäppelt habe, kommt die nächste Chemokeule.
23.04.23
Hab mich entschieden. Ich hab Jakob erzählt, dass wir wieder ins Krankenhaus müssen und dann hat er bitterlich angefangen zu weinen und meinte "ich wünsche mir so sehr, dass du da bleibst". Ich erfülle ihm seinen Geburtstagswunsch. Er hat die letzten Male so viel zurückstecken müssen. Auch wenn es mir das Herz bricht, meine Babymaus "alleine" zu lassen.
Wieder diese Zerrissenheit. Hölle pur.
25.04.23
Anouk hat den ersten Tag des 6. Blocks überstanden. Sie fehlt mir so. Und doch bin ich dankbar für Binis Einsatz. Ich bin nur noch erschöpft.
27.04.23
Eventuell bekommt Anouk heute noch Erys. Irgendwie gibt es keine Chemo mehr ohne Transfusion.
Heute Nachmittag dürfen Bini und Anouk wahrscheinlich heim. Ich kann es kaum erwarten, meine Babymaus im Arm zu halten.
Aber ich hab Angst vor der kommenden Anstrengung. Beide Kinder werden an mir kleben.
Jakob ist krank und ich hoffe inständig, dass Anouk sich nicht ansteckt. Wobei es eh ein Wunder wäre, wenn wir mal ne Chemoeinheit ohne Fieber und Zwischenaufenthalt im Krankenhaus hätten.
Ich selbst kämpfe immer noch mit der Rippenfellentzündung und blockierten Rippennerven. Kann man nix machen außer sich mit Schmerzmittel vollzupumpen. Bin jetzt schon bei 4x 600er Ibu und noch dazu Novalgin. Das trägt natürlich nicht dazu bei, dass sich meine psychische Verfassung bessert. Ich brauche eine Pause.
Wieder vereint. Anouk will immer zu ihrem "Jabop" aber wir versuchen sie so gut es geht zu trennen. Jakob hat 40,1 Fieber.
Beide Kinder wollen zu mir. Ich kümmere mich um Jakob und hab das Gefühl, den Zugang zu Anouk verloren zu haben. Sie will immer zu mir und regt sich dann fürchterlich auf, weil sie irgendwas haben möchte. Bei Bini macht sie das nicht.
29.04.23
Jakob hat sich irgendeinen viralen Infekt eingefangen und fiebert immer mal wieder auf. Wir versuchen die Kinder weiterhin voneinander zu trennen. Zitat Bini: "Wir sind wie Alleinerziehende mit jeweils einem Kind". Anouk hat schon Schnupfen. Mal sehen, wie lange wir diesmal ohne Fieber durchkommen. Ich hab mich bei Jakob angesteckt.
Nachts hat Anouk starke Bauchkrämpfe. So dankbar ich bin: Ich hasse Chemo!
03.05.23
Mitten in der Nacht: Schnupfen, Husten, jetzt 40 °C. Wir haben die letzten 2 Tage schon so herumgeeiert. Jetzt ist's klar: Anouk muss wieder in die Klinik. Bini geht mit. Ich habe immer noch keine Kraft dafür.
Die letzten Tage haben Maus und ich wieder zueinander gefunden. Viel kuscheln. Viel auf mir schlafen. Es war anstrengend, aber ich habe meine Babymaus wieder verstanden. Jetzt ist sie wieder weg. Es zerreißt mir das Herz. Schon wieder. Das Einzige, was mir gerade beim Abschied geholfen hat, war, dass sie sich so aufs Autofahren gefreut hat und sie es kaum erwarten konnte, angezogen zu werden. “Azieh” sagt sie dann immer.
Meine Unbeschwertheit ist dahin: In Jakobs Fieber sehe ich Leukämie, in Binis Gesundheitscheckup sehe ich auch schon den Tod lauern. Es ist doch verrückt.
Wie konnte in so kurzer Zeit meine kleine heile Welt so zerbrechen?
Ich sag mittlerweile so oft “Ich mag nicht mehr”, dass sogar Jakob anfängt, das zu sagen, wenn er weint oder wütend ist.
Ja, wir haben schon ⅔ der Chemos geschafft. Und dennoch: Es liegt noch so viel vor uns. 3 Chemos entsprechen noch mindestens 5 Krankenhausaufenthalte, mind. 2 Bluttransfusionen und zig Hochs und Tiefs.
Durchhalten. Immer wieder durchhalten.
Wir haben mittlerweile auch eine “Mutkette” für Anouk. Irgendwie wurde das bei uns verpennt. Normalerweise bekommt jedes Kind auf der Onkologie für jeden Moment, in dem es Mut gebraucht hat, eine Perle. Für jeden Pieks, für jede Chemo, für jede Bluttransfusion, Knochenmarkspunktion, Chemo, Operation,... Es gibt eine ganze Liste von verschiedenen Perlen. Wir kommen schon gar nicht mehr hinterher.
Kurz nach 1 Uhr nachts. Jakob ist gerade zum Kuscheln rübergekommen. Ich bin froh, nicht ganz alleine sein zu müssen. Ich sollte schlafen. Aber ich kann nicht. Sie fehlt mir so. Bini fehlt mir so. Ich warte auf die Nachricht von Bini, auf welcher Station sie sind.
Genauere Infos über ihren Zustand werden wir wohl erst im Laufe des Tages bekommen, wenn alle Blutergebnisse da sind. Jetzt heißt es wohl erstmal: Blutkultur, Iso, Antibiose und Schmerzmittel.
Ach Babymaus. Wie sehr wünschte ich, dich jetzt in meinen Armen zu halten.
04.05.23
Morgen darf Maus hoffentlich nach Hause.
Diesmal hat sie sogar 2mal GCSF bekommen müssen. Ihre Werte sind mal wieder im Keller. Scheinbar hat sie einen Coronavirus (nicht der von der pandemie). Daher ist sie weiterhin im Zimmer gefangen.
Videotelefonie: sie weint und weint und ich sehe ihre traurigen Augen, aus denen die Tränen nur so kullern. Ich würde sie gerne beruhigen. Selbst wenn es nicht klappen würde, würde sie merken, dass ich bei ihr bin. So sieht sie mich durchs Telefon und ruft nach mir und die Mama nimmt sie nicht in den Arm. Ich wünschte, ich könnte es ihr erklären. Mir war die Bindung zu meinen Kindern immer sehr wichtig. Und jetzt sorgt dieser scheiß Krebs dafür, dass sich Maus von mir im Stich gelassen fühlt.
05.05.23
Sie ist wieder zu Hause!
12.05.23
Immer noch zu Hause.
Familienleben. Chaos. Streit. Lachen. Es ist so schön! Anouk hat mittlerweile wieder sehr gute Werte. Besser als vor dem letzten Chemostart. Sie lacht viel, albert herum und wäre es nicht so offensichtlich, könnte man meinen sie ist ein ganz normales kleines Mädchen. Wie einfach und schön das Leben sein kann. Ich genieße jeden Moment.
Bini hat die letzten beiden otk Termine übernommen, sodass ich gerade eine richtige Krebspause habe. Es ist schon mehr als 2 Wochen her, dass ich ihr Blut gesehen habe. Wie gut es tut, nicht ständig damit konfrontiert zu werden. Wenn ich sage "Anouk hat Krebs" kommt mir das so unwirklich vor. Als ob ich diese Tragödie von mir abspalte. Wie nüchtern ich das erzählen kann, während mein Gegenüber am liebsten in Tränen ausbrechen würde. Ich traue es gar nicht zu sagen, aber mir geht es soweit gut. Auch gesundheitlich geht es endlich bergauf. Das liegt auch daran, dass bini zu Hause ist. Wir können uns tagsüber endlich abwechseln und ich muss nicht ständig auf die Mäuse aufpassen. Ich weiß wie schnell sich das Blatt wenden kann. Ich weiß, was die nächste Chemo wieder anrichten wird. Nein, man gewöhnt sich nicht daran.
Aber wir schaffen das auch.
Mittlerweile bin ich mir sicher, den Tumor besiegen zu können. Eventuell sogar ein paar schöne Monate erleben zu dürfen. Aber die Angst vor einem Rezidiv wird mittlerweile übermächtig. "Denk doch nicht daran". Wie kann ich denn bitte nicht daran denken?
Das wäre in vielerlei Hinsicht das Todesurteil für unsere Familie. Denn so sicher ich mittlerweile weiß, dass sie vorerst "gesund" werden wird, weiß ich auch, dass wir das nicht noch einmal durchhalten können. Seelisch. Weder Bini. Noch ich. Und körperlich würde es Anouks Überlebenschancen quasi vernichten. Davor habe ich Angst. Mehr als vor allen anderen Dingen in meinem Leben.
Im Moment schiebe ich diese Gedanken schnell beiseite. Ablenken. Genießen. Aber ich merke schon jetzt, wie diese Angst immer größer wird und ich hoffe ich kann ihr Einhalt gebieten, dass sie mir nicht noch die schönen Momente mit meiner Familie raubt.
Ich habe mittlerweile auch meine Gemälde radikal aussortiert. Ich kann sie nicht mehr sehen. Aus einem anderen Leben. Vor Dezember 2022. Als ich noch ein anderer Mensch war. Ja, es klingt theatralisch, aber ich kann mich mit meinem früheren Leben nicht mehr identifizieren.
16.05.21
Wie könnte es auch anders sein: Jakob und ich sind wieder erkältet… es ist so nervig. Aber wenigstens hatte ich ein paar Tage ohne irgendwelche Wehwehchen.
Anouk ist immer noch am rumrotzen und ich bin gespannt, ob sie die für Mittwoch geplante Chemo antreten kann. Heute erst einmal OTK
Es ist 3 Uhr nachts, Jakob hustet, Anouk weint. Wieder getrennte Betten.
Ich verstehe nach wie vor nicht, warum sie bei mir solche Wutanfälle hat. Eine Phase?
Wieso ist das bei Papa nicht so?
Die Autonomiephase ist eh schon anstrengend, aber in Kombination mit ihrer Krankheit ists echt übel. Ich möchte sie nie wieder schreien und weinen sehen. Sie hat schon genug für ihr restliches Leben gelitten.
Morgen "darf" sie wieder zur Chemo. Ich befürchte, dass sie wieder in Isolation muss. Sie ist immer noch am rum husten und schnupfen. Bini geht rein. Ich übernehme die nächsten 2 Chemoschichten. Ich kann mich ans Abschied nehmen nicht gewöhnen. Mein Herz ist den ganzen Tag so schwer. Ach babymaus.. Ich wünschte ich könnte euch beide Kinder bei mir haben.
17.05.21
Anouk hat einen Adenovirus nachgewiesen bekommen, Chemo wird daher auf nächste Woche verschoben. Feiertag zusammen verbringen. Ich freue mich.
Es ist frustrierend. Es ist zum Verzweifeln. Die kleine Sarah hat ein Rezidiv. Letzte Chance Stammzelltransplantation. Davor noch stärkere Chemo als sie eh schon bekommen hat. Ich kannte sie, ihre Schwester und ihre Mama nur flüchtig von der Intern 3 bzw otk. Ich habe sie das letzte Mal vor 3 Wochen gesehen. Sie haben mir erzählt: Endlich "normales" Leben. Sie konnte sogar ein paar Tage zu ihren Großeltern fahren. Von ihr weiß ich auch, dass man als Mama in dieser schweren Zeit funktioniert, aber dass man "wenns vorbei ist" die volle Bandbreite der Erschöpfung zu spüren bekommt.
Sie war in gewisser Weise unsere Vorreiterin. Sie haben die intensive Chemo schon geschafft. Sie hat mir gesagt, dass, wenn ich total im Tal bin, sie gerne anrufen kann. Denn es wird besser. Als sie mir das sagte, hatten sie die Intensivchemo bereits 6 Wochen hinter sich. Sie zeigt mir, dass es Hoffnung gibt. Schöne Zeiten nach der Intensivchemo. Und dann das.
Krebs ist ein hinterhältiges Arschloch.
Ich wollte eine Party machen, wenn Anouk die Intensivtherapie hinter sich hat. Wenn wir uns endlich persönlich bei unseren Wegbegleitern bedanken können.
Was ist, wenn der Tumor wiederkommt?
Ich wünsche mir von Herzen, dass diese Krankheit ausgerottet wird und am Ende des Lebens einfach schnell die Pumpe aufgibt. Das, was Krebs macht, ist grausam.
Mir fehlen die Worte um beschreiben zu können, was diese Nachricht in mir auslöst. Keine Ahnung, wie die Chancen auf einen Stammzellspender stehen. Aber bitte: Jeder, der das noch nicht getan hat: Registriert euch bei der dkms! Die Typisierung ist nur ein Wattestäbchenabstrich und bei einem möglichen Match, kann man die Knochenmarkszellen per Blut herausfiltern. Mit einer absoluten Kleinigkeit kann man anderen Menschen Hoffnung und eventuell sogar Heilung schenken.
Es muss der Horror sein, wenn man meint, das Schlimmste überstanden zu haben..die Freude, die Erleichterung, die Hoffnung…Um dann in noch tiefere Tiefen abzustürzen.
Positiv formuliert: es kann jederzeit vorbei sein. Macht euch nicht zu viele Sorgen über die Zukunft, sondern LEBT.
Ich hasse Schnaps, aber ich glaube, jetzt brauche ich einen.
So, 21.05.23
Liebe Anouk, es war alles so schön die letzten Tage. Ich habe dich zum ersten Mal seit einem halben Jahr in einen großen Supermarkt mitgenommen. Deine Werte wurden besser und ich hab es gewagt. Du durftest im einkaufswagen sitzen und hast alles total bestaunt. An solchen Momenten merke ich, wie leid es mir tut, dass du so wenig leben darfst. Ständig abgeschottet sein. Dabei wärst du die totale Abenteuermaus. Gestern Nachmittag hast du wieder Fieber bekommen und bist mit Papa wieder auf der Intern 3 in Isolation. Vermutlich geht deine Quarantänezeit nahtlos in den nächsten geplanten chemozyklus am Dienstag über. Ich habe versucht mir den nachmittag/ abend schön zu gestalten. Es war wirklich schön. Nachts hab ich noch ewig gepuzzelt. Wie absurd.
Mir fehlt deine Nähe. Dein Geruch. Dein Lachen. Dein "Jabooo" (Jakob meinst du). Dein herzliches " ja" und lange gedehntes "neeeeeiiin".
Und gleichzeitig bin ich erleichtert, gestern einen entspannteren Abend als sonst gehabt zu haben. Kein Weinen, kein Schreien. Und ich freue mich heute mit Jakob einen Ausflug machen zu können. Und genau dieser Gedanke tut mir weh und macht mir ein riesen schlechtes Gewissen. Ich lebe, während du eingesperrt so kämpfen musst.
Anouk hat Fieber und Durchfall. Ach Maus, ich wünschte, du wärst bei mir. Warum darfst du dich nicht zu Hause auskurieren?
Die Vorstellung, dass du wieder an den Kabeln bist. Im Gitterbett. In Isolation.
Emotionale Achterbahnfahrt deluxe. Heute mit Jakob beim Kranzberg auf der Wiese gelegen und in den Himmel geschaut. Nur an dich gedacht. Du darfst nicht sterben. Nicht vor mir und am besten niemals.
Ich fühle mich so unfassbar hilflos. Das einzige was ich tun kann, ist die schönen Dinge zu genießen. Das Leben zu leben. Aber ohne dich ist mein Leben nicht vollständig.
Es fühlt sich alles so falsch an.
Wo ist mein pausbäckiges kleines Mädchen hin? Ich vermisse dich so.
Aber ich traue mich nicht, dich zu besuchen. Ich hab Angst vor den Tränen und dem Abschied.
Lese die CWS guidance durch.
Bei Ihrer Tumorgruppe liegt das 5 Jahresüberleben bei 40 bis 70 %. Dabei ist es eigentlich egal. Sie darf nicht sterben.
Mi, 24.05.23
Seit gestern läuft der 7. Chemoblock. Und endlich wurde sie entisoliert.
Es geht weiter!
Nach diesem Block wird nochmal MRT gemacht. Eigentlich wäre das erst beim Restaging am Ende der Intensivchemo geplant. Die Ärzte sagten Bini, sie machen das, um auf "Nummer Sicher zu gehen" und um zu sehen "ob wirklich nichts mehr zu sehen ist".
Mir macht das Angst. Bini nimmt es hin.
Fr, 26.05.23
Endlich ist sie wieder in meinen Armen.
Erst einmal grillen und Picknick im Garten.
Es ist so toll zu sehen, wie die zwei Mäuse interagieren. Endlich wieder alle zusammen. Das macht mich glücklich.
MRT ist für Dienstag geplant. Wird spannend, da Anouk erfahrungsgemäß nach ca. 3-4 Tagen anfängt zu fiebern. Mal sehen.
Noch 2 Intensivchemos vor uns. Und ich hoffe, dass es wirklich die letzten beiden in ihrem ganzen Leben sind.
Mo, 29.05.23
Erhöhte Temperatur, Blutungszeichen (Nasenbluten). Ihr geht es nicht gut. Ab in die Klinik. Jakob wollte mich nicht gehen lassen. Hab ihn jetzt darauf vorbereitet, dass ich beim nächsten Mal Anouk begleite. Wieder Sachen packen. Anouks Kliniktasche war nicht mal vom letzten Aufenthalt ausgepackt.
Es ist frustrierend. Pfingsten. Alle unterwegs mit ihren Familien. Wetter genießen. Wir hatten gerade mal 2 schöne Tage zusammen. Auch wenn es irre anstrengend war. Anouk hat so viel geschrien. Wieder nur bei mir. Sie will immer zu Mama, aber dann schreit sie, weil Mama alles falsch zu machen scheint. Will dann aber auch nicht weg von mir. 2 Tage dauerschreiendes Kind auf dem Arm. Und jetzt verurteile ich mich für meine Gedanken. Gestern kam ich mir so schäbig vor, als ich drüber nachdachte, dass es weniger anstrengend ist, wenn sie mit Papa im Krankenhaus ist. Mit mir ist sie auf Station ja genauso. Bini hat wenigstens noch etwas Freiheiten wenn er da ist. Ich bin immer gefesselt.
Ich hab sie auf Station getragen. Sie fehlt mir so. Und gleichzeitig kann ich gerade das erste mal nach 2 Tagen durchatmen. Gefühlschaos. Ich will doch nur endlich Normalität für meine Familie. Scheiß Krebs. Ob sie am Dienstag das MRT machen können?
Keine Ahnung.
Fieber geht trotz Paracetamol und Novlagin noch nicht runter. EK steht bereit, aber sie darf die Transfusion erst bekommen, wenn sie fieberfrei ist.
Di, 30.05.23
Seit 1 Uhr nachts kein Fieber mehr. Bluttransfusion gab es dann auch sofort.
Scheinbar jetzt doch MRT?
MRT geschafft. Alles gut gegangen. Ergebnis wahrscheinlich erst morgen.
Clostridien im Stuhl, also neues Antibiotikum.
GCSF und TK Transfusion gibt's dann morgen. Arme Maus :-(
Fr, 02.06.23
Nochmal deutliches Ansprechen auf die Chemo zu sehen im Vergleich zu Februar. Scheinbar sind die kleinen Läsionen/ Gewebereste, die wohl im Februar im MRT noch zu sehen waren, deutlich weniger.
Ich sollte mich freuen, aber ich hab nichts anderes erwartet. So wie sie mit Chemo zugeballert wird.. da bleibt keine einzige Zelle heil. Interessant wird es, wenn die Intensivchemo dann vorbei ist.
Ich hoffe, dass die Maus heute wieder in meine Arme kann. Sie hat immer noch starken Durchfall, aber im Krankenhaus machen sie ja auch nix dagegen, außer noch mehr Antibiotikum zu geben. Das können wir auch daheim.
Bini ist sehr passiv. Falls die Ärzte empfehlen, noch ne Nacht zu bleiben, werde ich heute höchstpersönlich meine Familienmitglieder da raus holen. Es ist ein Unding, so ein kleines Wesen so zu isolieren. Zu ihrem Schutz verstehe ich es, aber zum Schutz der anderen Kinder? Nein, die Maus soll wieder etwas "Normalität" haben.
Wahrscheinlich wird es mit der letzten Chemo und der letzten Infektwelle, dem Restaging und der Hickientfernung September werden. Da wird sie 2! Ich fühle mich so der Zeit mit ihr beraubt. Das drollige Kleinkindalter…das wackelige Gehen, die süße Phantasiesprache,...
Wie gern hätte ich ihr diesen Sommer die Welt gezeigt. Aber nein, Einsperren, Schmerzen und nochmal Schmerzen.
Jetzt ist gerade Ruhe vor dem Sturm. Es ist so anstrengend wenn beide Kinder wieder an mir kleben.. wenn ich gefühlt meine Kleine wieder neu kennenlernen muss. Wenn Jakob wieder aus seiner Einzelkind Rolle rausgeschmissen wird. Normalerweise hat man so etwas einmal nach der Geburt eines neues Familienmitgliedes.. und nicht zig mal. Ich wünsche mir nichts mehr als Normalität und Konstanz.
Mo, 05.06.23
Heute OTK Termin. Warten in einer Isobox. Ich wusste wirklich nicht, dass diese Box so klein ist. Also wenn der Arzt zum PC will, dann muss er wohl übers Bett kraxeln.
Frage mich auch, ob diese Box mal geputzt wird. Ist ja für Infektionspatienten..Nur irgendwie sind hier überall Hand und Fingerabdrücke. Hallo Schmierinfektionen.
Ich komme langsam wieder an, im zweifache Mama sein. Und Anouk wird wieder richtig munter. Endlich wieder Gesichtsfarbe wegen Tageslicht und Sonne..Wieder etwas mehr Gewicht durch zig Schokobons. Jakob profitiert davon auch fleißig. Es wird ferngesehen, genascht… es wird später sicherlich eine Monsteraufgabe, den Kindern das wieder abzugewöhnen (smarties zum Frühstück…), aber jetzt zählt in erster Linie, dass meine Maus eine gute Zeit hat, zunimmt und die ganzen doofen Medikamentengaben irgendwie kompensiert werden. Und da ich keine Rivalität schüren möchte, genießt Jakob auch mehr Freiheiten als sonst.
So kommt es, dass gestern Abend jeder etwas anderes gegessen hatte, weil jeder was anderes wollte. 4 Personen. 4 Gerichte. Irgendwie verrückt.
Di, 13.06.23
Gestern endlich den MDK Termin zur Pflegebegutachtung hinter uns gebracht.
Die Frau war unerwartet nett.
"Wenn es diesmal nicht geklappt hätte, hätte ich mit Ihnen die Begutachtung telefonisch durchgeführt."
Ahja. Es ist ja nicht so, dass ich es nicht jedes mal beim MDK angesprochen habe.
Immer kam die Aussage: telefonisch geht es nicht.
Nun doch. Egal. Das Thema ist hoffentlich abgehakt.
Heute sollte eigentlich die vorletzte Chemo starten. Aber Anouk hat nach wie vor Husten und sie hat zu hohe Leukos.
Bei der Aussage musste ich erstmal lachen. Entweder zu niedrig oder zu hoch. Ich verstehe das System Chemo irgendwie doch nicht.
Anouk geht es, abgesehen vom Husten, sehr gut. Sie ist fröhlich, lustig und brabbelt den ganzen Tag vor sich hin. Einerseits bin ich froh, dass ich noch ein paar Tage Schonfrist habe. Freitag ist wieder OTK und ab Montag soll dann die Chemo starten. Andererseits möchte ich alles am liebsten ganz schnell hinter mich bringen. Zumal ich so wagemutig war, Urlaub für Ende August/ Anfang September zu buchen. Ich brauchte diesen Lichtblick. Jetzt verschiebt sich wieder alles.
Neben dem Organisatorischen ist diese emotionale Achterbahn so anstrengend. Ich hatte mich mental darauf vorbereitet, wieder ein paar Tage in Isolation zu verbringen. Jakob darauf vorbereitet, dass Mama weg sein wird.
Die Koffer gerade in den Flur gestellt, da kommt dann der Anruf, dass die Chemo nicht gestartet werden kann. Um 7 Uhr abends.
Man muss nehmen, was so kommt.
Es ist kurz vor 2 Uhr nachts und ich versuche mich vom Grübeln abzulenken.
Tagsüber hatte es sogar geklappt, als ich 30 Minuten kinder frei hatte. Klavier spielen. Musik fühlen. Jetzt muss ich mich wieder davon abhalten, Erfahrungsberichte über Kinder mit Krebs zu lesen /anzusehen. Die meisten Enden im Tod. Aber wahrscheinlich sind die "Cancer Survivors" nur zu sehr damit beschäftigt, ihr Leben zu leben und wollen ihre Lebenszeit nicht an Youtube- Videos oder Blogeinträgen verschwenden. Falls wir das hier alles überstehen, sind wir entweder total kaputt oder Superhelden. Hoffe auf letzteres.
Sa, 17.06.23
Gestern war so ein toller Tag.
Anouk hat Pflegegrad 3 bekommen = 545 Euro mehr im Monat und vor allem das Gefühl der Anerkennung, was wir hier leisten, ist schön. Anouk darf ab September wieder in ihre alte Krippen-Gruppe zu ihren alten Betreuern und bekommt wegen des Schwerbehindertenausweises einen Integrationsplatz --> die Krippengruppe ist kleiner und sie bekommt noch speziell Förderung für ihre Bedürfnisse.
Und: Ich darf mich hoffentlich bald beruflich mehr für Krebspatienten einsetzen.
Ich hatte das Gefühl, wieder das Ruder übernehmen zu können. Ich war stolz auf mich. Ein guter Tag.
Heute sagt eine Erzieherin zu mir, dass "ehrlich gesagt niemand damit gerechnet hat, dass Anouk je wieder zurück kommt".
Das tat weh. Man hatte meine Maus also bereits aufgegeben? Waren all die positiven "ihr schafft das" nur leeres Gerede und in Wahrheit denkt jeder "sie stirbt eh"?
Auf dem Spielplatz wackeln mir kleine Mädchen in Anouks Alter entgegen. Ich treffe eine lose Bekanntschaft mit seinem 3 Monate alten Sohn. Wann ist das passiert? Es schockt mich jedes Mal von neuem, dass die Welt für andere weitergeht. Urlaube, Ausflüge, Entwicklungssprünge,...
Anouk ist in ihrer Entwicklung stehen geblieben. Auch meine Zeit ist stehen geblieben. Und die Welt dreht sich trotzdem weiter. Gestern dachte ich, dass ich mittlerweile "gut" damit klar komme. Der Satz heute hat mir gezeigt, dass das nicht so ist. Ich weine auf dem Spielplatz und auf einmal ist diese Bedrohlichkeit, Anouk verlieren zu können, wieder ganz präsent.
Montag ist wieder Chemo. Ihr geht es zwar genauso wie letzte Woche, aber länger warten sollten wir auch nicht. Die Kinder klammern beide wieder sehr extrem. Ist es vllt doch besser, wenn Bini die weiteren KH Sessions übernimmt? Eine Mischung aus Schuldgefühlen, Wut, Angst und Hilflosigkeit macht sich wieder breit.
Scheiß Krebs. Ich kann es nicht oft genug sagen.
Di, 20.06.23
Anouk hat die vorletzte Chemo geschafft. Bini ist bei ihr. Heute sollte sie wieder heimkommen. Natürlich hat sie prompt Fieber entwickelt. Es ist zum Kotzen.
Im MRT stand Restbefund. Scheinbar ist Anouk doch noch nicht in Remission. Der Plan steht aber weiterhin. Keine OP, Bestrahlung etc.
Dabei dachte ich, dass sie nach der Intensivchemo krebsfrei sein muss, sonst geht doch alles wieder von vorne los?
Ich habe mit der Psychologin geredet. Ich versuche offensichtlich mit meinem Verhalten (sie ständig zu tragen/ auf den Arm zu nehmen, wenn sie kurz ein Pips macht) das Schicksal etwas zu besänftigen. Versuchen, einen Ausgleich zu schaffen, zu all den grausamen Dingen, die sie schon erleben musste.
Die Realität hat mich sehr getroffen: ich kann es nicht ausgleichen. Auch Anouk braucht Grenzen. Auch Anouk braucht das Gefühl, dass Mama nicht ihr Besitz ist. Sonst erziehe ich mir ein verhaltensauffälliges Kind. Daher ist es gut, wenn Bini mit ihr in der Klinik ist. Da wird sie wieder ausgelotet.
Mein Verstand sagt mir, dass sie recht hat.
Mein Gefühl will ihr die Welt zu Füßen legen und nie wieder auch nur eine Tränen sehen. Aber das schadet ihr auf Dauer.
Ich hoffe nur, dass wir ein "auf Dauer" haben.
Mi, 21.06.23
Immer noch in der Klinik. Anouks Sättigung fällt beim Schlafen immer wieder unter 90%. Sie bekommt dann Sauerstoff.
Neue Regel kennengelernt: man muss mindestens 24h ohne zusätzliches O2 auskommen.
Wenigstens hat die Oberärztin mir geantwortet bzgl "Restbefund":
Im aktuellen MRT sieht man (wie im letzten) keinen Resttumor, also keine Weichgewebsvermehrung. Das einzige, was man noch sieht, ist eine weiterhin rückläufige Signalalteration der betroffenen Markräume des Gesichtsschädels. Das bedeutet, dass überall, wo initial Tumor infiltrierend gewachsen war, und von wo sich der Tumor unter Therapie zurückgezogen hat, noch leichte Veränderungen im Knochenmarksraum und an den Knochen zu sehen sind. Das ist aber ganz normal, da sich diese Gewebe nur langsam regenerieren.
Wir sehen also im Moment nur post-tumoröse Veränderungen, aber keinen Resttumor.
Das hat mich beruhigt und mir wieder bestätigt, dass Assistenzärzte manchmal zu sehr reden, ohne nachzudenken.
Do, 22.06.23
Lunge röntgen wegen Atemgeräuschen. Jetzt doch Salbutamol. Ist ja nicht so, dass ich nicht ständig nachgefragt hätte, weil der Husten nicht weggeht… Ich fühle mich immer mehr bestätigt, dass eine Mama ihr Kind besser einschätzen kann als irgendein Arzt.
Überraschenderweise durfte sie heute Abend wieder in meine Arme. Sie ist entlassen worden. Dafür pumpt man sie mit 3 verschiedenen Antibiotika voll.
Sie kotzt das ganze Bett voll. Kein Wunder. Alles frisch bezogen. Auf Nachfrage sollten wir ihr nochmal Antibiotikum geben. Zack, schon wieder gespuckt. Die arme Maus. Jetzt hab ich mich quer gestellt, dass sie heute kein Antibiotikum mehr bekommt, sondern bitte einfach nur schlafen darf. Ich bin so wütend auf diese ganze Chemo, die Ärzte, die ständigen Trennungen, den Stress, wenn wir wieder alle zu 4t sind und die Kinder wieder um meine Aufmerksamkeit buhlen. Ich will nur noch Normalität!
Müssen wahrscheinlich morgen das Pflaster wechseln lassen. Es ist auch nass voller Erbrochenem. Hoffen wir, dass sich da nicht noch was entzündet. Sonst gehe ich auf die Barrikaden.
Mo, 26.06.23
Sie ist immer noch daheim! Bini und ich haben das Pflaster gemeinsam gewechselt. Die Anspannung dabei war krass, aber wir haben es geschafft. Dafür haben wir Jakob unfairerweise angemault.
Generell versuchen wir die Tage zu genießen, aber merken, dass wir einfach keine Energiespeicher mehr haben und zwischen herumalbern und rummaulen schwanken. Ich bin definitiv labil. Als der Besuch unserer Nachbarin Bini angesprochen und erzählt hat, dass sein Kind damals mit 3 Jahren gestorben ist, habe ich wortlos Anouk aus Binis Armen genommen und bin ins Haus gegangen. Wieso erzählt er sowas? Anouk wird es überleben. Sie muss.
Ich wundere mich generell immer mehr über meine Mitmenschen. Wie viele sind aus unserem Leben verschwunden. Wie viele können damit nicht umgehen.
Ich bin froh, dass wenigstens ein paar den Mut haben zu sagen "sorry, ich kann damit nicht umgehen, daher mache ich mich rar".
Viele schweigen.
Ich bin gleichzeitig aber sehr dankbar, dass es immer noch Leute gibt, die sich mit uns austauschen. Die mir ab und schreiben "Denk an euch". Die mir auch von ihrem Leben erzählen und mir nicht permanent das Gefühl geben, absolut bemitleidenswert zu sein.
Do, 29.06.23
Anouk schläft sehr unruhig. Sie hustet. Sie atmet schnell. Sie ist heiß.
Ich weiß auch ohne Thermometer was los ist.
Heute war der Fotograf im Kindergarten. Anouk durfte auch ein Geschwisterfoto machen. War das zu viel?
Ich wecke Bini. 40,1 Grad. Er packt, sie schläft derweil auf mir.
Ich bin wieder zerrissen. Ich will bei ihr sein und gleichzeitig weiß ich, dass es besser ist, wenn Bini reinfährt.
Wenigstens freut sich Anouk, dass sie wieder Autofahren darf. Sie winkt mir freudig zu, während ich weinend in der Haustür stehe. Jedes Mal zerbricht etwas in mir.
Heute war ich eh schon so sentimental, als ich über Anouks Geburt nachgedacht habe. Damals dachte ich, dass ich sie beschützen könnte. Ich freute mich, noch einmal die Babyzeit erleben zu dürfen. Die ersten Ausflüge. Meine größte Sorge war, ob ich genügend Zeit für beide Kinder habe. All das scheint ewig weit weg.
Im Moment kommt mir alles gerade so sinnlos vor. Ich kämpfe jeden Tag dafür, die Zeit mit meiner Familie maximal zu genießen. Heute haben wir alle im Wohnzimmer getanzt. Es war so schön. Und zack, im nächsten Moment ist wieder alles zerstört. Jeden Tag von neuem Aufstehen, etwas zum Lachen finden. Jeden Tag Alltagsstreitigkeiten ("Mama, ich mag nicht duschen"), Jeden Tag nach vorne blicken, obwohl man nur noch die Decke über den Kopf ziehen will.
Ja, Endspurt. Und ja, ich habe keine Wahl. Dennoch: Ich mag nicht mehr. Ich hätte im Moment kein Problem damit, wenn die gesamte Erde ausgelöscht werden würde. Dann ist endlich einmal Ruhe!
Sa, 01.07.23
GCSF, TK und EK. Transfusion von den Erythrozyten musste abgebrochen werden, weil Anouks Blutdruck zu niedrig wurde. Was bedeutet das? Keine Ahnung.
So. 02.07.23
Blutdruck hatte sich wieder normalisiert, sodass die Transfusion fortgesetzt werden konnte.
Ich musste gestern wieder “nervige Mutter” spielen, nachdem sie uns wortlos die Blutwerte gegeben hat, und ich keinen Grund gesehen habe, warum Anouk noch im Krankenhaus ist. Sie wurde schon einmal in absoluter Neutropenie entlassen.
Erst als ich auf der Onkologie angerufen habe, hat sich die Ärztin der Intern 4 erbarmt, reinzuschauen. Es ist am Wochenende auf der Intern 4 nicht üblich, Visite zu halten.
Sie gehen davon aus, dass der Blutdruckabfall im Zusammenhang mit ihrem Infekt steht und sie das Gefühl haben, diesen noch nicht im Griff zu haben. Daher hat sie jetzt noch ein anderes Antibiotikum angehängt bekommen und wird voraussichtlich Montag entlassen. Das hängt allerdings wieder von den Blutergebnissen ab. Keine Ahnung, wie oft sie jetzt schon GCSF bekommen hat. Es scheint nicht mehr so gut zu wirken. Immer noch keine neutrophilen Granulozyten.
Ich bin frustriert. Die paar Stunden, als ich auf Anouk aufgepasst habe und Bini mit Jakob durch München spaziert ist, haben mich schon wieder kurz vor der Explosion gebracht.
Ich hasse das Gitterbett. Ich hasse die Kabel, in denen sie sich verheddert. Ich hasse es, meine Tochter immer wieder von neuem kennenlernen zu müssen. Und natürlich durfte ich sie nicht kurz absetzen. Also wieder mal Toilettengang mit Maus auf dem Arm und die Bestätigung, dass es wirklich besser ist, wenn Bini gerade die KH Schichten übernimmt.
Es ist total verrückt. Sobald ich an Anouk denke, muss ich weinen. Aber sobald ich nur nüchtern den Krebs betrachte, möchte ich mehr wissen. Das ist dann irgendwie losgelöst von ihr. Heute habe ich daran gedacht, wie schön es wäre, mal wieder eine Party zu schmeißen. Ich glaube, ich kann nur noch zwischen absoluter Depression und “so tun, als ob nix wäre” bzw. “das betrifft nicht mein Kind” schwanken.
Di, 04.07.23
Seit gestern Abend sind wir wieder komplett. Anouk geht es soweit gut (bis auf Husten). Sie lacht viel, liebt es, zur Musik zu wackeln und isst endlich wieder normal. Auch kommen auf einmal neue Worte hinzu: Erdbeeren.
Die Vorstellung, dass am kommenden Montag wieder Chemo ist, macht mich fertig. Andererseits will ich es nur noch so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Ich hoffe, dass ihre Werte am Freitag in der OTK dafür ausreichen.
Ich will endlich mein Baby wieder dauerhaft bei mir wissen. Ich will endlich Familie sein. Und ich will endlich auch wieder Kraft haben, mich den neuen Phasen von Jakob zu widmen. Er testet gerade wieder mal die Grenzen und ich hab leider keine Nerven dafür.
Für Anouks Integrationsplatz in der Krippe reicht der Schwerbehindertenausweis leider nicht aus. Und das Attest, welches ich brauche, kann nicht von den Onkologen ausgefüllt werden.
Also wieder losziehen und mich am sozialpädiatrischen Zentrum vorstellen. Diese ganze Bürokratie nervt nur noch und ist sowas von unnötig. Aber bitte, ich hab ja sonst nichts zu tun…
Do, 06.07.23
Jakob muss getragen werden, weil ihn gestern eine Biene am Fuß gestochen hat. Anouk muss sowieso getragen werden.
Beide Kinder sind knatschig. Anouk hat erhöhte Temperatur und ich hoffe inständig, dass sie die magischen 38 Grad nicht knackt. Das macht das Geknatsche noch unerträglicher, weil ich gefühlt nur noch darauf warte, dass sie wieder ins Krankenhaus muss. Es ist so nervig. Dabei könnte der Tag schön sein. Opa ist da und hilft Bini mit der Terrasse.
Der notwendige Mittagsschlaf wurde durch einen laut rufenden Jakob vorzeitig beendet.
Ich warte nur drauf, dass Bettzeit ist oder ich alternativ Anouk ins Krankenhaus verabschieden muss. In der Zwischenzeit scheiß ich auf Erziehung und versuche, nur noch meine Kinder ruhigzustellen. Lebensfreude?
Nicht vorhanden.
Sa, 09.07.23
Chemo wurde auf Mittwoch verschoben, in der Hoffnung, dass ihre Werte besser sind. Diesmal sind die Thrombozyten zu schlecht, trotz Transfusion. Aktuell sind wir bei 30.000 Zellen. Maus braucht 100.000. Dienstag wieder Kontrolle OTK. Iso-box.
Anouks CRP ist auch wieder gestiegen. Sie hustet wieder mehr. Ich hoffe, dass sie sich berappelt und wir am Mittwoch in die Chemo starten können. Ich will den Tiefpunkt so schnell wie möglich hinter mich bringen.
39,7°C. Wieder getrennt.
Mo, 10.07.23
Sie ist wieder da!
Chemo wurde auf den 17. Juli verschoben.
Di, 11.07.23
Irgendwie bin ich mittlerweile völlig überfordert mit der Erziehung der Kinder. Ich lass Anouk so viel durchgehen..Zum einen weil ich beim Essen froh bin, wenn sie überhaupt etwas isst (dann ists mir egal ob sie sich nur von Schokolade ernährt, Hauptsache sie wird nicht noch dünner) , zum anderen will/kann ich sie nicht mehr weinen sehen. Ich fühle mich wie eine Marionette und mache trotzdem alles falsch. Klar ist sie jetzt auch in dieser "Autonomiephase", aber in Kombi mit dem Krebs bringt es mich total ans Limit.
Und bei Jakob kann ich mich auch nicht mehr so durchsetzen, weil ich seiner Schwester ja auch so viel durchgehen lasse.
Nächste Woche muss ich mit Anouk ins Krankenhaus und ich hab jetzt schon Panik davor.
Mo, 17.07.23
Anouks letzter Chemoblock ist gestartet. Vincristin.
Bini ist bei ihr. Ich wollte so gerne bei ihr sein, aber ich muss auf meine Kräfte achten. Ich bin zur Zeit in einem absoluten Loch und das Krankenhaus würde dieses nur noch vertiefen. Jeder Abschied tut weh. Es wird immer schlimmer. Die Vorstellung, dass gerade in diesem Moment wieder Gift durch ihren Körper gepumpt wird, macht mir Angst. Lasst doch bitte einfach mein Baby in Ruhe. Durchhalten. Aushalten. Überleben.
Mein einziger Trost ist und bleibt das Essen. Das einzige was mich am Leben hält, sind meine Kinder. Im Moment erscheint mir alles wieder in einem grauen Nebel. Ich hoffe so sehr, dass ich meine Lebensfreude wiederfinde. Dass ich die Zeit ohne Hickman und ohne Intensivchemo genießen kann. Echte Glücksgefühle verspüren kann und nicht einfach ein Lächeln auf dem Gesicht habe, weil ich das eben immer habe.
Di, 18.07.23
Anouk hat Nachts gefiebert. 39,6.
Chemo wird wahrscheinlich heute ausgesetzt, um zu sehen, wie es sich entwickelt.
Mein Bauchgefühl lag mal wieder richtig.
Die letzte Chemo ist zu viel…
Ich will abbrechen, aber ich weiß ganz genau, dass ich es mir nie verzeihen könnte, falls der Tumor zurückkommt.
Fr, 21.07.23
Sie hat es geschafft. Gestern lief die letzte Intensivchemo durch ihre Venen. Heute darf sie nach Hause. Ich freue mich so sehr auf meine Maus!!!!
Aber wie der Zufall so will: musste Jakob gerade aus dem Kindergarten abholen. Er spuckt. Perfekte Bedingungen für ein immunsupprimiertes Mäuschen…
Es nervt. Er klebt an mir, und ich will eigentlich gerade nur zu Anouk.
Noch 2 Wochen Hölle, mindestens 1x Fieberaufenthalt (ich gehe von 2 mal aus) und dann wird es steil bergauf gehen!
So, 23.07.23
Die Nacht war sehr anstrengend. Anouk hat so unruhig geschlafen. Sie wollte immer in meinen Armen liegen und ich durfte mich nicht von ihr wegdrehen. Ihr gehts soweit noch ganz gut, aber man merkt wie sie abbaut. Weniger essen, Müdigkeit, Laufen geht auch nicht mehr so gut an der Hand. Lieber getragen werden. Das ist aber ok. Irgendwie erträgt man alles besser, wenn man weiß, dass es das letzte Mal sein wird! Ich bin gespannt, was der Nachsorgeplan bereit hält. Im Entlassbrief hieß es, dass Vinorelbin per Infusion gegeben wird. Alle 8 Tage? Ich kann mir das noch nicht so vorstellen. Ich hoffe, dass es sich mal wieder um das Übliche, Assistenzarzt schreibt schnell was auf ohne zu denken, handelt. Ich habe nämlich wenig Lust ein Jahr lang, alle 8 Tage,in der OTK aufzutauchen und sie pieksen zu lassen. Man wird sehen. Ich bin müde, aber so glücklich,wieder Vollständig zu sein.
Mo, 24.07.23
Fieber. OTK. Bekommen ein Bett auf der Intern 5.
Lieber ein Ende mit Schrecken…
Ek gibt's dann auch mal wieder.
Hier im Zimmer kann ich das Fenster ganz öffnen. Das besänftigt mich.
Schlechte Sättigung, Fieber will trotz Medikamente nicht runter und sie liegt so schlapp und zerbrechlich in meinen Armen. Durchhalten Anouk, bald geht's nur noch bergauf.
Mi, 26.07.23
EK Transfusion musste gestern 2 mal unterbrochen werden, weil Anouks Blutdruck so abgesackt ist. Letztes Mal war es das Argument, dass sie übers Wochenende bleiben musste. "Wir haben den Infekt noch nicht im Griff. Der Blutdruckabfall hat nichts mit der Transfusion zu tun".
Nunja, ich möchte behaupten, dass es sehr wohl am EK liegt. Ich hoffe sehr, dass die Ärzte hier meinem Mamabauchgefühl mehr Beachtung schenken und uns trotzdem bald entlassen. Anouks Fieber ist weg und wir haben gerade wieder mit der Nicht-essen-/Schmerzen beim Stuhlgang und nächtlicher Schreianfälle- Phase zu tun. Diese zieht sich ja sehr, erfahrungsgemäß, und zu Hause bekomme ich das besser in Griff. Da gibt's dann auch mehr Lebensmittel, die sie gern isst.
Ich möchte hier so schnell wie möglich raus. Bei der Hygiene hier schnappen wir uns sicher wieder irgendetwas Fieses auf. Intern 5 ist das Mutterschiff der Krankenhauskeime. Wie gesagt: ein Ende mit Schrecken…
Dann kommt sicher das Argument von der absoluten Neutropenie. Aber auch hier: Das bekommen wir nicht durch Eingesperrtsein weg.
Weil ich darüber noch gar nichts geschrieben habe: gestern waren wieder die Klinikclowns da. Jedes Mal gruselt es mich. Wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Anouk ist davon auch immer ganz verstört.
Jakob geht es zu Hause gut. Ich habe ihm einen Brief und eine Batman-Figur dagelassen, weil er in dieser Geschichte hier auch ein kleiner Superheld ist.
Ganz große Augen: "Darf ich den für immer behalten?" So viel Ehrfurcht vor einer etwas größeren Barbiepuppe.
Endlich wurde mir auch Blut für die genetische Prädispositionsanalyse abgenommen. Anouks und Binis Blut haben sie ja bereits.
Apropos: weil die Pathologie hier und in Bonn alles Tumormaterial von Anouk verbraucht haben, konnte die Paneldiagnostik auf 300 krebsrelevante Gene bei Anouk nicht durchgeführt werden. Das ärgert mich sehr, denn es hätte sicher geholfen mehr über den Tumor zu verstehen (eventuell ihn doch besser einordnen zu können als nur "Undifferenziertes Sarkom" ) und weitere
Behandlunsoptionen aufgezeigt zu bekommen. Ich hätte von Anfang an darauf bestehen sollen. Aber man vertraut eben auf die Meinung von den "Experten".
Besuch von Dr. Br. Morgen auch keine Entlassung. Anouk hatte ihren CRP Rekord geknackt und hat daher irgendwo einen bakteriellen Infekt und braucht Meropenem iv.
Ich hoffe inständig auf Freitag. Alle Spielsachen sind mittlerweile uninteressant. Sie isst auch nur sehr selektiv. Bin froh, dass ihr das Gulasch heute Mittag wenigstens zugesagt hat.
Ansonsten geht's ihr ganz gut. Langeweile ist ein großes Thema und sie sitzt den ganzen Tag nur noch vor der Kiste (und das ist aber auch nicht befriedigend für sie). Ich hoffe wirklich, dass es der letzte Krankenhausaufenthalt ist und vor allem, dass die Blutkultur weiterhin steril bleibt. Sonst dauert es noch länger.
Ich habe mich trotzdem gefreut, dass der Oberarzt vorbeigeschaut hat. Es tut gut, mit bekannten Gesichtern zu reden und zu verstehen, warum wir hier sind.
Die Ärzte auf der Intern 5 sagen nur: das müssen die Onkos entscheiden. Man merkt wieder total wie die Station hier mit Krebskindern überfordert sind.
Und Anouk hat mal wieder Durchfall trotz Fidaxomycin. Hach ja…
Do, 27.07.23
Also der Oberarzt hier, pardon, Professor,.…Katastrophe.
Wegen der Infektionsgefahr bei den "Menschenmassen" bei Monis Farm durften wir nicht hin. Ich hab das Treiben im Hof beobachtet. Nix Menschenmassen. Es wäre super viel Platz und Möglichkeit gewesen, dass Anouk die Tiere in Ruhe streicheln hätte dürfen.
Herr Professor hat auch noch nie gehört, dass der CRP zeitversetzt ansteigt…
Letztendlich schwebt er nur mit dem Kittel von Zimmer zu Zimmer, und seine fleißigen Bienchen folgen ihm. Bin ich froh, dass ich doch nicht zur Bundeswehr bin. Dieses Obrigkeitsdenken macht mich ganz narrisch.
Hier herrschen echt noch Hierarchien wie zu Königszeiten. Und auch hier bin ich heilfroh, keinen medizinischen Beruf ergriffen zu haben. Ich kann es nicht ausstehen, wenn ein Depp an der Spitze steht und man nix sagen darf, weil er über einem steht.
Im Moment hab ich Zeit nachzudenken. Anouk ist jetzt erst (16:25 Uhr) zum Mittagsschlaf eingeschlafen (jippieh, die Nacht kann was werden).
Heute kam der Hicki einer Mitpatientin raus. Ich hätte nicht gedacht, dass mich so ein Stück Plastik so emotional berührt. Tränen aus Freude. Und auf einmal waren ganz viele Tränen da, die einfach raus wollten. Emotionschaos.
Anouk gehts soweit wieder ganz gut (bis auf Durchfall). Thrombos sind zwar immer noch am absinken, aber mir war eh klar, dass wir wieder transfundiert werden müssen. Ich frage mich nur, warum die immer so lange warten, bis die Werte total im Keller sind. Von mir aus könnten sie zumindest die TK schonmal bestellen. Das dauert eh immer ewig, bis das Blut dann aus Großhadern herkommt.
Die Leukos sind durch das GCSF nicht so gestiegen, wie die Ärzte es sich erhofft haben. Ach nee, ich sagte ja bereits, wir brauchen 2-3 Infusionen davon. Aber bitte, wer hört schon auf eine Mutter. Die Pappnasen hier wollten es ihr ja gar nicht erst geben. Da musste ich mal wieder auf der Intern 3 anrufen, damit die hier Druck bekommen.
Jetzt warte ich auf Dr. Br. von der Intern 3 der heute wieder vorbeischauen wollte. Hab mal wieder zig Fragen in Petto.
Es leuchtet mir immer noch nicht ein, warum es ein Sarkom sein soll, wenn alle Sarkomrelevanten Gene negativ waren.
Außerdem wüsste ich gerne, wie es jetzt weitergeht: wann ist PET-CT/ MRT (die Leute vom Casemanagement haben sich immer noch nicht gemeldet und ich fürchte, dass Anouk einfach vergessen worden ist)?
Wann ist das Abschlussgespräch?
Wann ist Hicki Ex?
Wann können wir in den Urlaub? Und wie sieht jetzt bitte die Nachsorge aus?
Und: ist Vinorelbin iv oder oral?! Tausend Fragen. Wie immer.
Dr. Br. kam leider nicht. Dafür hab ich mit Anouk über eine Stunde so richtig schön herumgeblödelt. Ich kann von ihrem Kichern nicht genug bekommen. Ich bin so froh hier bei ihr zu sein und mit ihr gemeinsam die Zeit totzuschlagen. Liebe Pur.
Google, dein Feind.
Über "Hicki-Ex" kam ich mal wieder auf hoffnungsvolle Blogs, die dann doch damit Enden, dass das Kind stirbt.
Dann google ich wieder nach Überlebenschancen:
"Bei Patienten mit einem metastasierten RMS-artigen Weichgewebesarkom beispielsweise liegt die 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 20 und 30 %."
Liebe Maus, du MUSST überleben. Ohne dich möchte ich nicht auf dieser Welt sein.
Ich hoffe, dass ich morgen nochmal mit einem Onkologen reden kann. Und dass wir dann endlich heim dürfen.
Fr, 28.07.23
Ich bin entnervt. Anouk ist seit halb 11 nicht mehr an der Infusion. Und immer wenn ich frage, ob wir jetzt gehen dürfen, kommt ein "keine Ahnung". Ich hab auf der onko Station angerufen. Die Ärztin wollte schon längst vorbeigeschaut haben.
In der OTK dauern die für uns relevanten Blutwerte 10! Minuten!! Dann weiß man, ob transfundiert wird oder wie es weitergeht.
Ich bin geduldig, wenn ich weiß worauf ich warten soll. Aber das hier ist für mich gestohlene Lebenszeit und das macht mich wütend. Dieser Willkür und dem System ausgeliefert zu sein nervt nur noch. Die Klinik hat es wieder geschafft, mich so aggressiv zu machen, dass ich den Boxsack an die Decke schlagen könnte.
So. Noch einmal GCSF dann ab nach Hause. Komisch, wie schnell es gehen kann, wenn man sagt, dass man dann halt einfach so geht.
Di, 01.08.23
Was für ein Tag. Ewigkeiten im Kreis gefahren um einen freien Parkplatz zu finden, langes Warten in der otk, erfahren, dass uns das casemanagement vergessen hat und als wir dann noch "schnell" zur Anästhesieaufklärung sollten haben wir noch mal sehr lange warten dürfen. Bis ich dann endlich vor dem Arzt saß, der wegen irgendwelcher IT Probleme unseren Fall nicht bearbeiten konnte...
Die genauen Termine hab ich zwar immer noch nicht, aber nächste Woche soll zumindest eine bildgebung evtl kombiniert mit hicki ex stattfinden
Ich freue mich, dass es vorangeht. Anouk hat zum ersten Mal seit langem gute Blutwerte. 3400 Leukos :-)
Und sie ist richtig gut drauf. Lacht viel, albert herum und hat einen enormen Sprung im Sprechen gemacht.
Jetzt ist es an der Zeit, sich Gedanken zu machen, ob sich bini und ich mit unseren je 30h Teilzeitarbeit nicht doch übernehmen. In der damaligen Planung hatten wir weder Psychotherapiesitzungen noch OTK Termine berücksichtigt. .. es bleibt spannend. Aber das schöne ist: ich kann endlich wieder eine Zukunft für uns sehen.
Mi, 02.08.23
Augenbrauen werden immer mehr sichtbar und ich bin so vernarrt in Anouks Lachen und Gekicher. Es ist wunderschön, sie so zu sehen.
Nächste Woche wirds spannend:
Mo: Vollnarkose MRT
Fr: Abschlussgespräch, Vollnarkose, PET-CT und Hicki Ex.
Ich kann es kaum glauben, dass es endlich soweit ist. Freiheit. Leben.
Mein letzter Klinikaufenthalt war sehr heilsam für meine Seele und die Beziehung zu Anouk. Allerdings hat das Jakob scheinbar ganz schön aus der Bahn geworfen. Ich hatte ihn darauf vorbereitet, dass ich das nächste Mal mit Anouk ins Krankenhaus gehe. Es hat ihn trotzdem wohl zu sehr verunsichert.Zumindest wurde mir heute im Kindergarten gesagt, dass Jakob die letzten 2 Wochen immer nach Mama fragt und möchte, dass die Erzieher mich anrufen, damit ich ihn abhole. Der Vormittag ist besonders schlimm.
Er weint sehr viel, will nur noch Mama und ständig tut ihm etwas ganz ganz schlimm weh. Er kann sich morgens kaum von mir trennen und will nur bei mir sein. Auch will er öfter getragen werden. Es ist anstrengend und er tut mir so Leid. Ich versuche ihn jedes Mal zu loben, wenn er mal nicht rumheult oder ein Fass aufmacht. Er soll Aufmerksamkeit bekommen, wenn er keine Aufmerksamkeit einfordert. Gar nicht so einfach.
So, 06.08.23
Heute waren wir das erste Mal gemeinsam essen wie ganz normale Menschen. Sonst haben wir uns nur getraut, draußen essen zu gehen, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Es hat geregnet und wir saßen drinnen. Anouk war ganz begeistert.
Bini hat zwar alles drumherum desinfiziert, aber so ein Stück Normalität hat so gut getan. Morgen geht's in Vollnarkose fürs MRT. Um 11 Uhr in der Tagesklinik und um 13 Uhr MRT. Ich schätze, wir werden erst abends heimkommen.
Bini geht ab morgen wieder arbeiten. Das fühlt sich so verrückt an. Es läuft dann alles ganz normal weiter, auch wenn eigentlich nichts mehr normal ist.
Mi, 09.08.23
MRT sieht sehr gut aus. Radiologen sind happy :-)
Fr, 11.08.23
Hicki ist raus. Pet CT vorbei. Abschlussgespräch.
6 Monate Erhaltungstherapie mit Cyclophosphamid und Vinorelbin.
Jetzt heißt es nur noch hoffen, dass alle Krebszellen erwischt worden sind.
Es bleibt ein Restrisiko, weil nicht operiert werden konnte und auch keine Bestrahlung gemacht wurde. Hätten wir bestrahlt, wäre ihr Gesicht massiv entstellt worden.
Auf der Intern 3 hieß es, "Es könnte sein, dass man es ihr vielleicht ansieht". Man kann die Wahrheit auch schön reden.
Es ist eben nicht so, dass wir keine Bestrahlung gebraucht hätten, sondern vielmehr, dass es ein Versuch ist ohne auszukommen, weil Anouk sonst massivst entstellt worden wäre. Das klang damals ganz anders..
Alle 3 Monate MRT. Viele Nachsorgetermine. Augenarzt, Kardiologe, Ohrenarzt.
Aber: Das Kapitel der Intensivtherapie ist endlich vorbei!
Wieder Leitungswasser trinken, Lebensmittel essen, die länger als 24h offen waren, Menschen treffen, bald wieder baden und vor allem: bei Fieber reicht wieder ganz normal der Kinderarzt. Kein Krankenhaus mehr!
Ich hab die tollste, tapferste und mutigste Maus der Welt!
Do, 24.08.23
Erster OTK Termin ohne Hicki. Maus hat die Blutabnahme klasse mitgemacht. Werte alle top. Leukos von über 7000, 80% Granulos.
10,7 kg. Alles bestens. pet CT auch sehr gut. Habe vergessen, mir die genauen Befunde mitgeben zu lassen.
Das Leben ist schön: Freunde treffen, Zoos, Spielplätze,..Ausflüge oder einfach so banale Dinge wie Einkaufen. Endlich kann ich wieder Mama sein für 2 Kinder. Anstrengend und wunderschön!
Seit Montag dürfen wir ohne Duschpflaster baden. Narbe verheilt scheinbar auch gut, obwohl Maus an ihren Fäden rumpult.
Sie hat wieder ihre kompletten Haare verloren, aber scheinbar kann das vorkommen. Wir brauchen Geduld.
Wir haben den nächsten Termin fürs MRT Mitte November. Bis dahin müssen wir nur kommen, wenn wir Bedarf haben (oder uns das Rezept ausgeht). Für normale Dinge ist wieder unser Kinderarzt zuständig.
Ich kann es nicht fassen: bis Mitte November dürfen wir fast ganz normal leben!
Klar, es stehen jetzt andere Dinge wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Augenarzt und Ohrenarzt an. Aber das geht alles vor Ort!
14. November geht's dann weiter mit MRT und Angst vor dem Rezidiv. Aber das verdränge ich fürs Erste: Jetzt wird erst einmal weiter gelebt!